Die Vampire
schöner. Kate würde ihn der anderen Frau nicht abgewinnen und ihn zu einem fügsamen Gewährsmann machen können. Ihre Karriere als zweite Mata Hari war beendet, noch ehe sie richtig begonnen hatte.
»Woher dieses Interesse an meinen persönlichen Verhältnissen? Ich dachte, Sie befassen sich eher mit Politik und anderen wichtigen Belangen?«
»Der Journalismus braucht eine menschliche Note. Kleine Einsichten zur Erhellung trockener Fakten.«
Edwin leerte sein Glas. Der Brandy hatte sein Blut erwärmt und ihm einen kräftigen Geschmack verliehen. Die Kante eines Briefumschlags lugte aus seiner Jackentasche. Mit spitzen Fingern ließ er sie darin verschwinden.
»Versiegelte Order?«
Er grinste. »Das darf ich Ihnen nicht verraten.«
»Ich gehe jede Wette ein«, sagte sie, »dass ich weiß, wohin man Sie schicken wird.«
»Wenn das stimmt, wären Sie tatsächlich eine Hexe. Ich habe keinen Schimmer, was in dieser Order steht.«
Sein Herzschlag verriet ihr, dass er log, doch sie ließ ihn gewähren.
»Worum möchten Sie wetten?«
Sie zuckte die Achseln.
»Einen Kuss?«, schlug er vor.
Ihre Augenzähne verlängerten sich um eine Winzigkeit. Sie verspürte einen leisen, nicht unangenehmen Schmerz in den Nerven ihrer Hauer.
»Nun gut«, sagte sie. »Sie werden nach London abberufen.«
Er holte den Umschlag hervor und öffnete ihn. Er las die Order, drückte sie an seine Brust und kicherte.
»Sie haben Ihre Wette verloren.«
»Muss ich mich auf Ihr Wort verlassen?«
»Als Offizier und leidlicher Gentleman?«
»Offiziere und Gentlemen geben die besten Lügner ab. Insbesondere Geheimdienstoffiziere. Ihr Beruf verpflichtet Sie zur Lüge wie der meine mich zur Wahrheit.«
»Ich könnte Ihnen durchaus den einen oder anderen Journalisten nennen, dem die Fabelei nicht fremd ist.«
»Touché.«
»Sie gestehen mir also zu, dass Sie verloren haben?«
»Bleibt mir etwas anderes übrig?«
Sie standen linkisch auf und sahen sich an. Er war von mittlerer Statur, nur wenig größer als sie. Er küsste sie auf den Mund. Seine Wärme versetzte ihr einen Schock, und Feuer schoss durch ihre Adern. Obgleich kein Blut floss, war der Kontakt derselbe wie beim Aderlass. Es war kein langer Kuss. Bartletts Tisch johlte und schrie. Edwins Gedanken waren nicht allzu ergiebig. Nur ein
Tropfen Blut, und sie hätte erfahren, was sie wissen wollte. Edwin machte sich von ihr los. Seine Order glitt ihm durch die Finger, verfehlte den Tisch und fiel zu Boden.
»Da stehen einem ja die Haare zu Berge«, sagte er mit großen Augen.
Mit der Schnelligkeit der Untoten bückte sie sich, schnappte sich das Blatt Papier und hielt es Edwin hin. Der war in einem kurzen Traum versunken, wie betäubt von der Berührung ihrer Lippen. Bei einem flüchtigen Blick auf das Papier hatte sie gesehen, dass Edwin nach Maranique zurückbeordert wurde, um eine zweite Streife zum Château du Malinbois zu schicken.
»Damit hatten Sie wohl nicht gerechnet?«, fragte Kate.
»Das will ich meinen. Sie sind elektrisierend. Wie ein Zitteraal.«
II
NIEMANDSLAND
15
Ader um Ader, Zahn um Zahn
D a hört sich doch alles auf!«, schimpfte Ewers. »Wir sollten am Bahnhof abgeholt werden. Es sollte ein Wagen für uns bereitstehen. Diese Verzögerung ist unverzeihlich.«
Poe stellte seine Reisetasche auf den Bahnsteig, während sich düster dreinblickende Soldaten um ihn scharten. Es war kurz nach Sonnenuntergang. Sein roter Durst war geweckt, eine unerträgliche Tortur.
»Diese Sache wird ein Nachspiel haben«, gelobte Ewers. »Und wenn ich eigenhändig einen Pfahl errichte, um die Gedärme des Verantwortlichen daraufzuspießen!«
Kleine Ungelegenheiten machten Hanns Heinz Ewers maßlos wütend. Ebenso übertrieben wie seine Eingebildetheit war sein Zorn, wenn andere sich weigerten, die Autorität anzuerkennen, die er für sich in Anspruch nahm. Wäre er ein Verfechter der Theorien Sigmund Freuds gewesen, so hätte Poe vermutlich folgern müssen, dass Ewers’ Phallus ungewöhnlich klein geraten war.
Dabei hatte der Wiener Jude ein paar recht interessante Dinge geschrieben und sich seinen Platz in der Geschichte redlich verdient. Franz Joseph war eben im Begriff gewesen, einer vom
Hause Rothschild unterzeichneten Petition zuzustimmen und das Grazer Edikt aufzuheben, als Freud Der oral-sadistische Antrieb veröffentlichte. Am Beispiel der Untoten lieferte das Buch einen derart erschütternden Beweis für die moralische Verkommenheit und das gefährliche
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