Die Vampire
ungeschlachte Flugzeug zu der Formation von Jagdmaschinen, die im Minutenabstand starteten. Als die RE8 sich schließlich in Bewegung setzte, waren die Snipes längst in der Luft.
Es gab einen Ruck, und ein heftiger Windstoß zwang Winthrop, sich umzudrehen. Ein Schwall eisiger Luft traf ihn ins Genick und blähte seine Fliegerkluft. Sein Blick wanderte das Rollfeld entlang zu den langen Schatten von Dravot und dem Bodenpersonal. Da fiel ihm ein, dass er den Mund geschlossen halten sollte, damit er sich nicht auf die Zunge biss. Die RE8 holperte ein paarmal auf dem eisenharten Feld, dann hob sie ab.
Das Rütteln hörte auf, und er war erstaunt, wie ruhig es jetzt dahinging. In der Luft gab es keine Schlaglöcher. Ein Schauder erfasste ihn, als Courtney den Motor auf Touren brachte und die Maschine an Geschwindigkeit und Höhe gewann.
Das Bauernhaus und die Leute auf dem Feld verschwanden. Die Sonne war noch nicht untergegangen, und hier und da schimmerte gräulich harscher Schnee. Flaches Ödland raste unter ihnen dahin. Winthrop war trotz seiner Verkleidung durchgefroren bis auf die Knochen. Wenn er seine Kiefermuskeln auch nur ein klein wenig entspannte, würde er mit den Zähnen klappern bis in alle Ewigkeit.
Er war unablässig in Bewegung, drehte sich in seiner Kanzel, riss das Lewis mit herum. Das Gewehr steckte in einem Laufkranz, einer Schiene, die das Loch im Rumpf umrandete. Er wollte sehen, wohin sie flogen. Cundalls Snipe stand vor ihnen am Himmel wie ein Fixstern; die Wimpel an den Flügelstreben wiesen ihn als Staffelführer aus. Die anderen Maschinen, links und rechts von ihm, flogen in perfekter Formation. Ball und Bigglesworth bildeten die äußeren Enden der Pfeilspitze und waren Courtney nur ein kurzes Stück voraus. Es musste eine Plage sein, die fixen kleinen
Kampfflugzeuge dem Tempo der trägen Harry Tate unterzuordnen.
Allmählich gewöhnte er sich an die Kälte. Vampiren fiel das Fliegen leichter, doch auch als Warmblüter ließ es sich ertragen. Es hatte zweifellos etwas Erheiterndes. In diesem Jahrhundert würde der Himmel die Abenteurer locken wie seinerzeit die See. Es war ein Jammer, dass der Krieg diesen wunderbaren Zauber zunichtemachte.
Unter ihnen, auf einer verwüsteten Landstraße, stand eine geschlechtslose Gestalt auf ein Fahrrad gestützt und winkte. Ein unbekannter, aber vertrauter Freund. Da Winthrop sich dem anonymen Menschlein irgendwie verbunden fühlte, versuchte er den Arm aus dem Cockpit zu strecken und zurückzuwinken. Die Wucht des Windes wirkte wie ein Hammerschlag.
Sie passierten eine tiefe Narbe in der Landschaft. Ihm wurde klar, dass es sich um die alliierten Linien handelte. Sie flogen über Niemandsland. Die Erde war geschunden und zernarbt wie nach Dutzenden von Erdbeben, als ob hundert Vulkane ausgebrochen und Tausende von Meteoren eingeschlagen wären. Yard für Yard waren tonnenweise Granaten niedergegangen. Sie passierten eine zweite Narbe, die deutschen Schützengräben, und befanden sich auf feindlichem Gebiet, im Land der Hunnen.
17
Die einsame Radfahrerin
S ie musste fest in die Pedale treten, damit die Schöße ihres Überziehers sich nicht in den Speichen verfingen. Dank des jämmerlichen Zustands der Straßen an der Front fiel sie mindestens
ein- oder zweimal in der Stunde vom Rad. Doch als zähe Vampirfrau spürte sie die Stürze kaum. Die meisten blauen Flecken verblassten binnen einer Minute. Kate hätte die Fahrt gewiss genossen, wäre der Geruch nach Tod und Asche nicht gewesen. Wenn das Leben zu Ende ging, verdarb das Blut im Nu wie Kuhmilch an der Sonne. Der Gestank von ranzigem Blut hing in der Luft wie ein Miasma.
Die Wege waren schmal und mit Granattrichtern gepflastert. Sie schlängelte sich im Zickzack zwischen den Schlaglöchern hindurch. Von den alten Wegweisern waren zumeist nur noch Splitter übrig, und an ihrer Stelle befanden sich nun mit Draht im Gebüsch befestigte, bemalte Bleche. Wenn Bomben das Gebüsch beharkten, zeigten die behelfsmäßigen Schilder häufig in die falsche Richtung. Die Vorkriegskarten hatten mit der Wirklichkeit nichts mehr gemein. Alte Straßen lagen unter Schutt begraben, neue führten durch vereiste Felder. Millionen Tonnen von Granaten hatten den Verlauf vieler Flüsse aufs Geratewohl verändert.
Sie war auf der Suche nach Edwin und nach Maranique. Ihr journalistischer Spürsinn, oftmals feiner als ihre Vampirsinne, war geweckt.
Bei Sonnenuntergang brummte ein Schwarm Flugzeuge über sie hinweg.
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