Die Vampire
Die Maschinen kamen aus der Richtung, in der sie den Flugplatz vermutet hatte.
Der Luftkrieg wurde inzwischen auf andere Art geführt. Hier lag die Geschichte, die sie gewittert hatte. Der Fall Mata Hari hatte sie bewogen, den Himmel im Auge zu behalten. Edwin hatte sie darin bestätigt.
Sie bremste und stemmte einen Stiefelabsatz in den Boden. Dann blickte sie durch ihre dicke Brille gen Himmel, in der bangen Erwartung, schwarze Kreuze an der Unterseite der Flügel zu entdecken. Die blau-weiß-roten Zielscheiben des Royal Flying Corps, das demnächst mit dem Royal Naval Air Service zur Royal
Air Force vereinigt werden sollte, verrieten ihr, dass sie auf dem rechten Weg war.
Die Piloten nannten ihre Maschinen »Kisten« oder »Mühlen«. Die komplizierten Konstruktionen aus Draht und Zelttuch waren so zerbrechlich, dass sie manchmal schon bei steifem Seitenwind in Stücke gingen, von schwerem Feuer ganz zu schweigen. Vermutlich waren sie nicht einmal in Friedenszeiten sicher. Die Zöglinge der Fliegerschulen des RFC wurden »Hunnen« genannt, weil sie mehr Flugzeuge zugrunde richteten als der Feind. Bei Übungsflügen kamen halb so viele Piloten ums Leben wie im Kampf. Die Erfindung der Gebrüder Wright war nicht der Weisheit letzter Schluss. Andererseits hatte ihr Vater geglaubt, das Fahrradfahren werde sie ins Grab bringen.
Sie winkte, konnte jedoch nicht sehen, ob einer der Piloten ihren Gruß erwiderte. Womöglich hatte diese Streife etwas mit ihrer Recherche zu tun. Wenn sie einmal Witterung aufgenommen hatte, schien plötzlich alles zusammenzupassen, und ein Dutzend beiläufige Bemerkungen und Zwischenfälle fügten sich zu einem Muster.
Die durch dickköpfige Esel wie Horatio Bottomley und seine blutdurstigen patriotischen Salbadereien in ›John Bull‹ verkörperte Tagespresse, in der Kate Reed nicht publizierte, bezeichnete die alliierten Flieger durchweg als »tapfer« und »unerschrocken«. Wenn man sie so in den Tod davonschweben sah, konnte man dem schwerlich widersprechen. Die Männer waren von unbändigem Kampfgeist erfüllt. Es war ein Jammer, dass Planer und Propagandisten so begierig waren, ihn durch Gemetzel und Blutvergießen zu brechen.
Die Streife passierte in Pfeilformation die Front, wie ein Gänseschwarm, der zum Überwintern gen Süden fliegt.
Kates Mission barg ein gewisses Risiko. Ein Reporter auf der Suche nach der Wahrheit konnte leicht mit einem Spion verwechselt
werden. Das Oberkommando hielt seine Fehler vor Presse und Öffentlichkeit ebenso gründlich geheim wie seine Kriegslist vor dem Feind. Wie Mata Hari war Kate gezwungen, ihre Verführungskünste zu benutzen, sich wohlgesinnte Offiziere warmzuhalten, zu suchen, wo sie nichts zu suchen hatte, die Spreu vom Weizen zu trennen. General Mireau, zum Beispiel, hätte sie mit Freuden pfählen lassen. Sie fragte sich, ob sein Jesuit sie immer noch verfolgte. Sie musste auf der Hut sein: Weihwasser und klirrende Rosenkränze waren ein Witz, Silberkugeln hingegen ließen sich unmöglich mit einem Scherz abtun.
Sie trug die Armbinde einer Krankenschwester, die ihr Zutritt zu den meisten Militäreinrichtungen verschaffte. Hier, an der Front, freuten sich die Männer so sehr über den Anblick einer Frau, selbst wenn sie, wie Kate, mit ihren mageren Reizen geizte, dass sie unbehelligt ein Kasino oder Feldlazarett betreten konnte.
Im Osten explodierten Leuchtgranaten und warfen scharf gezackte Schatten. In den letzten Wochen war es vermehrt zu nächtlichen Kampfhandlungen gekommen. Die Deutschen gönnten den Alliierten keine Pause. Die Streife befand sich über Niemandsland. Kate wünschte den Fliegern alles Gute und trat in die Pedale.
In Maranique war das Geschwader Condor stationiert, ein Werkzeug des Diogenes-Clubs. So viel hatte sie amtlichen Verlautbarungen entnommen, noch bevor sie einen Blick auf Edwins Order hatte werfen können. Sie hatte einen Abend im Pariser Hauptquartier der Generalintendantur verbracht, Requisitionen und Marschbefehle zurückverfolgt und aus der Verteilung von matériel und Männern die Geschichte des Geschwaders rekonstruiert. Der Name Charles Beauregard zog sich wie ein roter Faden durch die Papiere. Sie war nicht im mindesten erstaunt, wie oft seinen Wünschen stattgegeben wurde, selbst gegen den Willen hochrangiger Offiziere.
Die Straße war völlig verwüstet, Baum- und Rainhecken versengt, Felder durchackert und durchpflügt. Man hatte Bretterroste gelegt, doch auch die waren längst in tausend
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