Die Vampire
Stücken. Sie stieg ab und hievte sich das Fahrrad mühelos auf die Schulter. Sie konnte sich kaum entsinnen, jemals warmblütig und schwach gewesen zu sein, wenngleich sie es im Allgemeinen vermied, ihre Vampirkräfte coram publico zur Schau zu stellen. Sie betrat den schlammigen Boden und watete weiter. Schon nach wenigen Schritten war sie bis über die Gamaschen im steinigen Morast versunken und zog ihre Füße mit obszönen Schmatzgeräuschen wieder heraus.
Obgleich alle Asse dem Geschwader Condor beigetreten waren, bedeutete dies für viele einen Karriereknick. Zählte man ihre vor dieser Operation erzielten Abschüsse zusammen, so hatten Cundall’s Condors verhältnismäßig wenige Einzelsiege errungen. Für Ordensjäger - es war naiv zu glauben, die alliierten Piloten hätten nicht alle eine Bilanz wie der Baron vorweisen mögen - war dies gewiss frustrierend. Das Geschwader musste eine Aufgabe von so großer militärischer Bedeutung zugeteilt bekommen haben, dass die propagandistische Wirkung messinggeschmückten Heldenmutes einstweilen keine Rolle spielte.
Bald fand sie so etwas wie eine Straße und stieg wieder auf ihr altes Hoopdriver. Das Herrenrad war angeblich zu groß für sie, doch sie kam gut damit zurecht. Ihre ersten Artikel waren - noch in den achtziger Jahren, in Zweiradzeitschriften erschienen. Manchmal sehnte sie sich zurück nach ihren warmblütigen Tagen, als das Recht der Frau, bei Radausflügen Pumphosen zu tragen, heftig umstritten war. Obgleich es ihr lächerlich erschien, die Jahre vor der Zeit des Schreckens zum sonnigen Idyll zu verklären, musste sie sich eingestehen, dass ihr derlei vergessene Trivialitäten so etwas wie Trost geboten hatten.
Sie stieß auf ein Schild, das alle, denen die entsprechenden Papiere
fehlten, zur Umkehr mahnte. Das einzige Papier in ihrer voluminösen Tasche war um eine Flasche Blutsorbet gewickelt. Sie behielt ihre Notizen im Kopf, wo sie ihr niemand nehmen konnte.
Die Straße war mit Pfosten markiert, die sie an Draculas geliebte Pfähle denken ließ. Die meisten waren nicht mit Totenköpfen, sondern zerbeulten Stahlhelmen bekrönt. Auf einem zweiten Schild stand, auf Englisch und Französisch (jedoch nicht auf Deutsch): »Unbefugte werden als Spione betrachtet und erschossen.« Daran hatte Kate nicht den geringsten Zweifel. Bottomley vertrat die Ansicht, dass alle Kritiker des Krieges als Verräter hingerichtet werden sollten.
Eine von Kates Quellen, Colonel Nicholson, hatte den großen Blutsauger Bottomley im vergangenen September zu einer Frontbesichtigung begleiten müssen. Er meinte, die Versuchung, den Redakteur auf die Grabenstufe zu setzen und seinen Kopf mit einer Silberkugel zu durchlöchern, sei nahezu unwiderstehlich gewesen. Nachdem er bis auf viertausend Yards an die Front herangekommen war, hatte Bottomley die Rückreise ins gemütliche London angetreten, wo er sich damit brüstete, er habe »unseren glorreichen Jungs« im Schützengraben tapfer zur Seite gestanden. Der Gedanke an seinen Artikel verursachte ihr Übelkeit: »MEINE ZEIT IN DER HÖLLE! Ich war dabei - Uns gehört der Sieg - Ich schwör’s bei Gott - Aus ist der Krieg!« Die meisten »glorreichen Jungs« hätten ihm mit Freuden ein Bajonett in den Bauch gestoßen, statt Artikel voller Sentimentalitäten wie: »Vom Generalfeldmarschall bis hinunter zum milchbärtigen Tommy im Schützengraben herrscht nur ein Geist - der Geist des unbedingten Optimismus und der Zuversicht« lesen zu müssen. »Wir haben ihm eine Gasmaske aufgesetzt, um ihn damit zu fotografieren«, hatte Nicholson ihr erzählt, »und einen Augenblick lang wünschte ich, der Schlag möge ihn treffen.«
Nicht nur zwischen den Mittelmächten und den Alliierten herrschte Krieg, auch Alt und Jung, Politiker, Gassenprediger und todgeweihte Soldaten lagen in Fehde. Kate hatte allen Grund, Dracula zu verabscheuen, und erkannte die Notwendigkeit, seinen Ehrgeiz zu zügeln, doch auch in Britannien bekleideten finstere Gestalten hohe Ämter.
Dass Männer wie Charles Beauregard und Edwin Winthrop nach wie vor im Dienste König Victors standen, bot wenig Anlass zur Hoffnung.
Seit ihrer Wette hatte sie oft an Edwin denken müssen. Sie waren eine Verbindung eingegangen, die sie noch immer nicht durchschaute. Sie fragte sich, ob Edwin jemals an sie dachte.
Als sie auf einen erschöpften Wachposten traf, sagte sie schüchtern »Rotes Kreuz«, als handele es sich um die Tageslosung. Er salutierte und ließ sie
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