Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman

Vom Netzwerk:

passieren, ohne um ihre nicht vorhandenen Papiere zu bitten. Wenn die Geschichten über die Vergnügungssucht der Flieger stimmten, verkehrten hier vermutlich Frauen mit weitaus fragwürdigerem Ruf als sie.
    Sie lehnte ihr Fahrrad gegen einen Schuppen. Sie war von Kopf bis Fuß mit Schlamm besudelt, und eine zolldicke Kruste bedeckte ihre Stiefelstulpen. Selbst ihre Brille war mit braunen Tupfen gesprenkelt. Schwerlich das geeignete Kostüm, um verschwiegenen Helden wohlgehütete Geheimnisse zu entlocken.
    Der Flugplatz sah aus wie ein Bauernhof. Mit Wellblech verstärkte Scheunen dienten als Flugzeughallen. Obgleich die Dunkelheit noch kaum hereingebrochen war, wimmelte es geradezu von Militärbediensteten. Auf einem ehemaligen Viehhof machten sich zwei Mechaniker an einer Sopwith Pup zu schaffen, die unablässig Öl verlor.
    Kate marschierte zielstrebig vorbei, als habe sie dringende Geschäfte zu erledigen. Einer der beiden Männer pfiff ihr hinterher, ein sicherer Beweis dafür, dass er von seiner Liebsten seit langer
Zeit getrennt war. Sie lächelte zurück, ohne die Zähne zu entblößen.
    Da entdeckte sie das eigentliche Rollfeld. Die Streife, die sie gesehen hatte, musste hier gestartet sein. Eine Handvoll Männer stand in der Nähe eines Bauernhauses - vermutlich ihr Quartier - versammelt und beobachtete den Nachthimmel.
    Ihr schoss der Gedanke durch den Kopf, dass es fürchterlich sein musste, auf die Rückkehr der Piloten zu warten, obgleich die Chancen eins zu hundert standen. Angeblich gewöhnte man sich nach einer Weile daran, dass die Kameraden im Kampf ihr Leben ließen. Diese zermürbende Ungewissheit konnte selbst die stabilsten Gemüter um den Verstand bringen.
    Nach und nach zerstreute sich die Gruppe. Erst ging ein Mann davon, dann ein zweiter, dann der Rest. Sie blickten unsicher zu Boden und kämpften mit dem Drang, bis in alle Ewigkeit in den Himmel zu starren. Verlegen mit den Füßen scharrend, versuchten sie sich gegenseitig aufzumuntern und verschwanden wieder im Haus. Ein Grammophon krächzte »Arme Butterfly«.
    Da sie sich ausnahmsweise wie ein Eindringling vorkam, überlegte sie, ob sie nicht lieber zu ihrer Sanitätseinheit zurückkehren sollte. Wenn sie sich nicht gerade als Schnüfflerin betätigte, half sie den Verwundeten. Die ernüchternde Arbeit rief ihr immer wieder ins Gedächtnis, weshalb sie die Wahrheit ans Licht bringen musste.
    »Miss«, sagte eine tiefe Stimme. »Darf ich fragen, was Sie hier zu suchen haben?«
    Er hatte sich so leise angeschlichen, dass sie ihn trotz ihres feinen Fledermausgehörs nicht wahrgenommen hatte. Das wies ihn als berufsmäßigen Spion aus. Es war Sergeant Dravot, der Mordagent des Diogenes-Clubs.
    Sie breitete unterwürfig die Arme aus und versuchte ein spitzmäusiges Lächeln.

    »Ich warte auf die Rückkehr meines tapferen Soldaten«, erwiderte sie im Tonfall einer Dirne.
    Dravot richtete den Blick gen Himmel und sagte mit ausdrucksloser Stimme: »Ich auch.«

18
Höllische Heerscharen
    G anz in der Nähe explodierte etwas. Winthrop spürte einen heftigen Schwall heißer Luft. Die RE8 überflog quellende schwarze Wolken. Archie. Der Aufklärer zog steil nach oben, zu schnell für Winthrops Magen. Tief unter ihnen lag ein schwarzer Qualmteppich. Die Druckwellen der Explosionen trieben die RE8 in immer luftigere Höhen. Trotz des Flugabwehrfeuers hielt Courtney die Maschine ruhig.
    Die mögliche Steighöhe der RE8 lag bei 6500 Fuß, wenngleich sie unter besonderen Bedingungen eine Gipfelhöhe von 13 500 Fuß erreichen konnte. Archie brachte es nur selten auf über 4000. Dafür waren die Granaten Gott sei Dank zu schwer.
    Plötzlich kam Winthrop der Gedanke, dass sie womöglich nicht allein am Himmel waren. In diesem Falle war er schlecht beraten, nach unten zu schauen. Die meisten Flieger wurden hinterrücks oder von oben abgeschossen. Er wirbelte herum, machte eine Dreivierteldrehung. Die Luft schien rein.
    Sie flogen nach Osten, fort vom Sonnenuntergang. Der Abendhimmel war brandgerötet, ringsum brach die Dunkelheit herein.
    Die RE8 legte sich in die Kurve, und Courtney folgte Cundalls Beispiel und vollführte eine Kehre wie im Bilderbuch. Sie nahmen Kurs auf Malinbois.

    Der Flugwind peitschte sie mit Nadelstichen. Als Winthrop das Lewis loslassen wollte, stellte er fest, dass er die Hände nicht bewegen konnte. Er biss die Zähne zusammen und zwang sich zur Beherrschung.
    Mit steifen Fingern tastete er nach dem Kamerahebel. Er musste den