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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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betraute seine neugeborenen Kinder mit Regierungsämtern, ja beförderte sogar
den Wettbewerb unter ihnen. Godalming - wegen seines Titels für niedrigere Tätigkeiten untauglich und dennoch kaum für einen Kabinettsposten geeignet - war Ruthven gegenwärtig der liebste seiner Nachkommen und diente ihm insgeheim als Privatkurier und Sekretär. Er besaß seit jeher eine praktische Ader, eine natürliche Gabe, die Einzelheiten komplizierter Pläne auszuknobeln. Selbst Van Helsing hatte ihn mit einem Gutteil der Vorarbeiten seines Feldzuges betraut.
    »Und haben Sie schon von seinem neuesten Erlass gehört?« Ruthven hielt eine mit scharlachrotem Band verschnürte amtliche Pergamentrolle in die Höhe. Er löste die Schleife, und Godalming erblickte den Kupferstich eines Palastsekretärs. »Er will dem, was er als ›widernatürliche Verirrung‹ zu bezeichnen pflegt, den Kampf ansagen und hat bestimmt, dass Päderastie künftig mit sofortiger Hinrichtung zu ahnden sei. Selbstverständlich nach seiner altbewährten Methode, durch den Pfahl.«
    Godalming überflog das Dokument. »Päderastie? Warum sollte das den Prinzgemahl derart erzürnen?«
    »Sie vergessen eines, Godalming. Dracula verfügt mitnichten über die Toleranz eines Engländers. Er hat einige Jahre seiner Jugend in türkischer Gefangenschaft verbracht, und wir dürfen getrost annehmen, dass sich seine Aufseher von Zeit zu Zeit an ihm gütlich taten. Überdies fand sein Bruder Radu, den man bezeichnenderweise den ›Schönen‹ nannte, durchaus Gefallen an derlei männlichen Liebesdiensten. Und da Radu ihn im Zuge einer ihrer unzähligen Familienintrigen ans Messer lieferte, hat der Prinzgemahl beschlossen, hinsichtlich gleichgeschlechtlicher Dinge äußerste Härte walten zu lassen.«
    »Das scheint mir trotz alledem eine recht unbedeutende Angelegenheit.«
    Ruthven blähte die Nasenflügel. »Ihr Verstand ist offenbar begrenzt, Godalming. Bedenken Sie doch: Es gibt kaum ein aufrechtes
Parlamentsmitglied, das nicht bei dieser oder jener Gelegenheit einem Telegrafenjungen den eigenen Vorteil hintangesetzt hätte. Kommenden Dezember wird Dracula ein paar wohlbekannte Tanten langsam auf Christbäume spießen, sie sozusagen zur Krönung auf die Spitze treiben.«
    »Ein sonderbares Bild, Mylord.«
    Der Premierminister machte eine wegwerfende Handbewegung; seine rautenförmigen Nägel spiegelten das Licht.
    »Tscha, Godalming, tscha! Es ist natürlich durchaus möglich, dass unser listiger Walachenfürst beabsichtigt, mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.«
    »Will sagen?«
    »Will sagen, dass es in dieser Stadt einen gewissen neugeborenen Dichter gibt, einen Irländer, der für seine erotischen Präferenzen ebenso berühmt ist wie für seine unkluge Beziehung zu einem Landsmann, dessen Andenken in nicht eben hoher Gunst steht. Und der, wie ich wohl sagen darf, für beide Attribute weitaus besser bekannt ist als für seine Verse.«
    »Sie sprechen von Oscar Wilde?«
    »Selbstverständlich spreche ich von Wilde.«
    »Er war in jüngster Zeit nicht sehr oft zu Gast bei Mrs. Stoker.«
    »Dasselbe möchte ich auch Ihnen raten, falls Ihnen Ihr Herz lieb ist. Ich kann für Ihren Schutz nicht garantieren.«
    Godalming nickte gravitätisch. Er hatte gute Gründe, Florence Stokers soirées noires weiterhin zu besuchen.
    »Ich habe irgendwo einen Bericht über die Unternehmungen von Mr. Oscar Wilde«, sagte Ruthven und deutete auf eine weitere Pyramide von Papieren, »den ich in meiner Eigenschaft als homme de lettres habe anfertigen lassen, dem am Wohlergehen unserer größten schöpferischen Geister überaus gelegen ist. Es wird Sie freuen zu hören, dass Wilde sich voller Enthusiasmus
in den Stand eines Vampirs begeben hat. Neuerdings besteht sein liebster Zeitvertreib darin, junge Männer zur Ader zu lassen, was seinen ästhetischen Eifer zwar ein wenig bremst, seiner Liebäugelei mit dem Fabianismus, die ihn zu Jahresbeginn bedauerlicherweise einen Großteil seiner Zeit kostete, jedoch ein Ende gemacht hat.«
    »Sie haben offenbar einen Narren an dem Burschen gefressen. Ich für meinen Teil finde es ermüdend, wie er hinter vorgehaltener Hand kichert, um seine schlechten Zähne zu verbergen.«
    Ruthven ließ sich in einen Sessel fallen und fuhr sich mit den Fingern durch das halblange Haar. Der Premierminister war selbst ein leidlicher Dandy mit einer gewissen Neigung zu ausgefallenen Halsbinden und Manschetten. ›Punch‹ nannte ihn einen »vollendeten

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