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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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von ›höchster Stelle‹ spricht, so ist der Club damit gemeint. Offenbar nehmen wichtige Leute Interesse an dem Fall. Und Beauregard holt für sie die Kastanien aus dem Feuer.«
    »Ein stattlicher Mann.«
    »Wenn Sie meinen, Mademoiselle.«
    Der Coroner hatte die Ordnung wiederhergestellt. Ein Gerichtsdiener hatte sich soeben aus dem Saal gestohlen und kehrte nun mit sechs neugeborenen Constables zurück. Sie stellten sich, wie eine Ehrengarde, in einer Reihe an der Wand auf. Die Anarchisten brüteten dumpf vor sich hin. Ihre Absicht war es offenbar, genug Unruhe zu stiften, die Stimmung aufzuheizen, jedoch nicht genug, damit der Coroner ihre Namen zu Protokoll nehmen ließ.
    »Falls man es mir gestatten möchte, würde ich die sich aus der Äußerung dieses Gentleman ergebende Frage gern beantworten«, sagte Dr. Jekyll. Baxter nickte. »Allein die Kenntnis von der Lage der wichtigen Organe lässt nicht unbedingt auf eine medizinische Vorbildung des Täters schließen. Sofern es lediglich in seiner Absicht liegt, einen Lebenden zum wirklichen Tode zu befördern,
vermag ein jeder Schlächter die Nieren durchaus ebenso sauber zu entfernen wie ein Chirurg. Dazu braucht es nichts weiter als eine ruhige Hand und eine scharfe Klinge, und beides findet man in Whitechapel zuhauf.«
    »Haben Sie eine Vermutung bezüglich des Werkzeugs, dessen der Mörder sich bedient hat?«
    »Offenbar irgendein Messer. Versilbert.«
    Bei diesem Wort ging ein Aufschrei des Entsetzens durch die Bänke.
    »Stahl oder Eisen hätte schwerlich solchen Schaden tun können«, fuhr Dr. Jekyll fort. »Die Physis der Vampire ist dergestalt beschaffen, dass mit gewöhnlichen Waffen beigebrachte Wunden binnen kürzester Zeit verheilen. Gewebe und Knochen werden neu gebildet, ebenso wie einer Eidechse der Schwanz nachwachsen kann. Silber wirkt diesem Prozess entgegen. Allein Silber vermag einem Vampir solch dauerhafte, tödliche Verletzungen zuzufügen. Insofern findet sich die Fantasie des Volkes, das dem Mörder den Namen ›Silver Knife‹ gegeben hat, in den vorliegenden Tatsachen auf das Trefflichste bestätigt.«
    »Sie sind mit den Fällen Mary Ann Nichols und Eliza Anne Chapman vertraut?«, fragte Baxter.
    Dr. Jekyll nickte. »Ja.«
    »Sind Sie nach Vergleich dieser Vorfälle zu einem eindeutigen Schluss gelangt?«
    »Jawohl. Alle drei Morde sind ohne den geringsten Zweifel das Werk ein und derselben Person. Es handelt sich um einen linkshändigen Mann von durchschnittlicher Größe, dessen Körperkraft die Norm bei weitem übersteigt …«
    »Mr. Holmes hätte aus einem Aschekrümel seiner Zigarre den Mädchennamen seiner Mutter herauslesen können«, murmelte Lestrade.
    »… möchte ich hinzufügen, dass, betrachtet man den Fall mit
den Augen eines Außenstehenden, der Mörder nach meinem Dafürhalten kein Vampir ist.«
    Der Anarchist war aufgesprungen, doch ehe er auch nur den Mund auftun konnte, hatten die Constables des Coroners ihn schon umringt. Da es ihm zu guter Letzt gelungen war, das Publikum zu bändigen, notierte Baxter diebisch grinsend den abschließenden Punkt von Dr. Jekylls Aussage und dankte dem Zeugen.
    Geneviève bemerkte, dass der Mann, nach dem sie Lestrade befragt hatte, gegangen war. Sie überlegte, ob Beauregard wohl auch von ihr Notiz genommen haben mochte. Ihrerseits war eine Verbindung hergestellt. Entweder hatte sie eine ihrer »Einsichten«, oder sie war zu lange ohne Nahrung geblieben. Nein, es gab keinen Zweifel. Der Mann vom Diogenes-Club - worum auch immer es sich dabei handeln mochte - war wesentlich in die Angelegenheit des Whitechapel-Mörders verstrickt, sie wusste nur noch nicht, in welcher Eigenschaft.
    Der Coroner begann sein wohlgefeiltes Resümee, beschied auf »vorsätzlichen Mord durch eine oder mehrere unbekannte Personen« und setzte hinzu, bei dem Mörder Lulu Schöns handele es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um denselben Mann, der am 31. August Mary Ann Nichols und am 8. September Eliza Anne Chapman um ihr Leben gebracht hatte.

7
    Der Premierminister
    W ussten Sie«, begann Lord Ruthven, »dass es auf diesen unseren Inseln Menschen gibt, deren alleiniger Einwand gegen die Vermählung unserer werten Königin - Victoria Regina, Kaiserin von Indien et cetera - mit Vlad Dracula - alias Tepes, ehemals Fürst der Walachei - darin besteht, dass der glückliche Bräutigam einst zufällig, aufgrund von Umständen, die zu begreifen ich nicht einmal vorzugeben mich erdreisten möchte, ein

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