Die Vampire
Römisch-katholischer war?«
Der Premierminister schwenkte einen Brief, den er offenbar willkürlich aus den Stapeln von ungeöffneter Post hervorgezogen hatte, mit denen die Tische seines Empfangszimmers in der Downing Street übersät waren. Godalming hütete sich, Ruthven in einer seiner Anwandlungen von Geschwätzigkeit zu unterbrechen. Für einen Neugeborenen, der eifrig darauf bedacht war, in die Geheimnisse der Ältesten eingeweiht zu werden, war die Möglichkeit, einem seiner jahrhundertealten Genossen Gehör zu schenken, ein wertvolles, ja unentbehrliches Mittel, etwas zu lernen. Wenn Ruthven zu einem Wortschwall anhob, offenbarte eine Fülle uralter Wahrheiten längst vergessene Zauberformeln der Macht. Es kostete Mühe, sich dem Sog seiner Persönlichkeit zu widersetzen, sich nicht von den Schwingen seiner Rede forttragen zu lassen.
»Ich habe hier«, spann Ruthven seinen Faden weiter, »das Sendschreiben einer jämmerlichen Gesellschaft, die sich der Wahrung des unerheblichen Andenkens jenes widerwärtigen Konstitutionellen Walter Bagehot verschrieben hat. Die Herren führen eine kaum verhohlene Klage darüber, dass zwischen dem Zeitpunkt, da der Fürst sich in die Arme der Anglikanischen Kirche begab,
und jenem, da er sich von der Königin in die Arme schließen ließ, eine unangemessen kurze Frist verstrichen sei. Unser Korrespondent besitzt sogar die Frechheit anzudeuten, Vlad könne es dem Anschein nach nicht allzu ernst damit gewesen sein, dem Papst von Rom abzuschwören, weshalb mit ihm und seinem heimlichen Beichtvater Kardinal Newman die perfide Verderbtheit Leos des Dreizehnten Einzug ins Königshaus gehalten habe. Mein lockenköpfiger Freund, so manchem Dummbart erscheint ein Faible für das Blut einer Jungfrau verzeihlicher als ein Schluck aus dem Abendmahlskelch.«
Ruthven zerfetzte den Brief. Die Papierschnitzel fielen auf den Teppich, der bereits mit dem Konfetti anderer verlachter Dokumente bedeckt war. Er grinste und atmete schwer, wenngleich seine milchweißen Wangen keinerlei Anzeichen seiner offensichtlichen Erregung erkennen ließen. Godalming kam der Gedanke, dass die Zornesausbrüche des Premierministers geheuchelt waren, Vorspiegelungen eines Mannes, der Leidenschaft eher vortäuschte denn tatsächlich erlebte. Ruthven ballte die Fäuste hinter dem Rücken und schritt im Zimmer auf und ab, seine grauen Augen wie fein bewimperte Murmeln.
»Unser Fürst hat schon einmal den Glauben gewechselt, müssen Sie wissen«, bemerkte er, »und zwar aus demselben Grund. Im Jahre 1473 entsagte er der Orthodoxie und wurde Katholik, damit er die Schwester des ungarischen Königs ehelichen konnte. Dieser Winkelzug brachte ihm nach zwölf Jahren der Gefangenschaft am Hofe Matthias’ die Freiheit und bot ihm Gelegenheit, den walachischen Thron wiederzuerlangen, um den er sich dank seiner vermaledeiten Torheit selbst gebracht hatte. Dass er es in den folgenden vier Jahrhunderten mit Rom gehalten hat, spricht Bände über die angeborene Dummheit dieses Mannes. Wenn Sie die wahre Seele des Konservativismus ergründen möchten, brauchen Sie nicht weiter zu gehen als bis zum Buckingham-Palast.«
Indessen richtete der Premierminister seine Worte nicht mehr an Godalming, sondern an ein Porträt. Das dort abgebildete adlerähnliche Profil war einem Gemälde der Königin zugekehrt, das dieselbe Wand schmückte. Godalming war Dracula bislang erst einmal begegnet; der Prinzgemahl und Lordprotektor, damals noch ein einfacher Graf namens deVille, besaß keine allzu große Ähnlichkeit mit dem stolzen Geschöpf, das Mr. G. F. Watts auf die Leinwand gebannt hatte.
»Stellen Sie sich diesen Rohling doch nur einmal vor, Godalming. Vierhundert Jahre lang brütete er in seiner stinkenden Ruine von einem Schloss dumpf vor sich hin. Fluchend und zähneknirschend schmiedete er dunkle Ränke, weste er in mittelalterlichem Aberglauben. Ließ wunderliche, vertrocknete Bauern zur Ader. Ging raubend und mordend mit dem Getier auf die Brunst. Stillte mit jenen untoten Tieren, die er Ehefrauen nennt, sein derbes Verlangen. Wandelte die Gestalt wie ein werwölfischer Scharlatan …«
Obschon der Prinzgemahl sich persönlich für die Ernennung des Premierministers ausgesprochen hatte, waren die über Jahrhunderte gewachsenen Beziehungen zwischen den Vampirältesten nicht eben freundschaftlich zu nennen. Gleichwohl stellte Ruthven in der Öffentlichkeit die erwartete Lehenstreue zu jenem Ältesten zur Schau, der bereits
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