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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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Fingerknöchel in den Mund.
    Liz Stride versuchte, sich in einen Wolf oder Hund zu verwandeln. Wie Mrs. Amworth gesagt hatte, war es nicht leicht. Dazu bedurfte es enormer Konzentration und eines starken Selbstbewusstseins. Nicht eben die Mittel, über die ein mit Gin verhangener Geist oder eine Neugeborene im Todeskampf reichlich verfügte.
    »Du meine Güte!«, rief Watkins aus.
    Liz Strides Unterkiefer ragte hervor wie der eines Krokodils, zu groß, um eigentlich an ihren Schädel zu passen. Das rechte Bein und der rechte Arm schrumpften zusammen, während die linke Seite aufschwoll und sich rings um die Knochen Muskelstränge bildeten. Ihr blutgetränktes Kleid zerriss. Die Wunde an ihrer Kehle begann zu heilen, und frische gelbe Zähne schimmerten an den Rändern des Einschnitts. Ein klauenbewehrter Fuß schnellte hervor und fuhr in Watkins’ uniformierte Brust. Belfernde Schreie drangen aus dem Loch im Hals des Zwitterwesens. Es machte einen Satz zwischen den Polizisten hindurch und vollführte eine unbeholfene Landung. Dann kroch es über den Boden und schlug mit mächtigen, messerscharfen Krallen nach Seward.
    »Aus dem Weg«, befahl Bauregard.
    Der Mann vom Diogenes-Club hielt einen Revolver in der Hand. Mit dem Daumen spannte er den Hahn und nahm sein Ziel sorgfältig aufs Korn. Liz Stride wandte sich um und blickte auf den Lauf der Waffe.
    »Das hat doch keinen Sinn!«, rief die Amworth.

    Liz Stride sprang auf. Beauregard drückte ab. Sein Schuss traf sie ins Herz und schleuderte sie rückwärts gegen die Wand. Leblos stürzte sie auf Dr. Seward, und allmählich gewann ihr Körper seine frühere Gestalt zurück.
    Geneviève blickte Beauregard fragend an.
    »Eine Silberkugel«, erklärte er gleichgültig.
    »Charles«, hauchte Kate, von Ehrfurcht überwältigt. Geneviève glaubte, das Mädchen wolle jeden Augenblick in Ohnmacht fallen, doch das tat es keineswegs.
    Seward stand auf und wischte sich das Blut aus dem Gesicht. Seine Lippen waren nur mehr ein weißer Strich, und er bebte vor kaum verhohlenem Abscheu.
    »Nun, jetzt haben Sie das Werk des Rippers vollendet, so viel ist sicher«, murmelte Lestrade.
    »Mir soll’s recht sein«, sagte Watkins, auf dessen Brust eine blutende Wunde klaffte.
    Geneviève beugte sich über den Leichnam, um Liz Strides Tod zu bestätigen. In einer letzten Zuckung schnellte - halb Mensch, halb Wolf - ein Arm hervor, und scharfe Klauen krallten sich in Sewards Hosenaufschlag.

25
    Eine Wanderung in Whitechapel
    I ch glaube, zum Schluss war sie frei vom Delirium«, sagte er. »Sie wollte uns etwas mitteilen.«
    »Was denn?«, fragte Geneviève. »Dass der Mörder … Sydney Beinkleid heißt?«
    Beauregard lachte. Nur wenige Untote besaßen Humor.

    »Wohl kaum«, entgegnete er, »aber vielleicht lautet sein Name Stiefel.«
    »Oder er ist Stiefelmacher.«
    »Ich habe sicheren Grund zu der Annahme, dass John Pizer als Täter nicht infrage kommt.«
    Die Tote war mit einem Karren zur Leichenhalle gebracht worden, wo die Geier von Medizin und Presse sie begierig erwarteten. Kate Reed befand sich im Café de Paris und gab per Telefon ihre Geschichte durch, nachdem Beauregard sie strikt angewiesen hatte, seinen Namen aus dem Spiel zu lassen. Es wäre schlimm genug, die Aufmerksamkeit auf den Diogenes-Club zu lenken, seine größte Sorge aber galt Penelope. Er konnte sich ihre Reaktion lebhaft vorstellen, wenn bekannt würde, welche Rolle er während der letzten Minuten von Liz Stride gespielt hatte. Dies war ein anderer Teil der Welt, ein anderer Teil der Stadt, ein anderer Teil seines Lebens. Penelope hatte hier keinen Platz und hätte es wahrscheinlich vorgezogen, seine Existenz zu ignorieren.
    Er legte den Weg von der Berner Street zum Mitre Square zu Fuß zurück. Die Vampirfrau von Toynbee Hall schlenderte neben ihm dahin; die fahle Sonne machte ihr offenbar nicht annähernd so sehr zu schaffen wie am gestrigen Tage Kate. Bei Licht besehen, erschien ihm Geneviève Dieudonné als recht anziehendes Geschöpf. Sie war gekleidet wie eine »neue Frau«, trug eine eng anliegende Jacke, ein schmuckloses Kleid, feste, flache Stiefel, Baskenmütze und einen hüftlangen Umhang. Wenn Großbritannien im nächsten Jahr ein neues Parlament gewählt hätte, wäre sie gewiss für das Frauenwahlrecht eingetreten; und sie würde wohl nicht für Lord Ruthven gestimmt haben.
    Sie erreichten den Schauplatz des Eddowes-Mordes. Der Mitre Square war ein eingegrenztes Areal an der Großen Synagoge,

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