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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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der nur über zwei schmale Wege zu erreichen war. Die Zugänge hatte
man durch Seile abgesperrt, und ein warmblütiger Polizist bewachte den blutigen Ort des Verbrechens. Ein paar Schaulustige streiften umher und brannten offenbar darauf, auf die Liste der Verdächtigen gesetzt zu werden. Ein orthodoxer Jude mit Schläfenlocken und bauchlangem Bart versuchte einige dieser unerwünschten Subjekte vom Portal der Synagoge zu vertreiben.
    Beauregard hob das Seil und ließ Geneviève passieren. Er zeigte dem Polizisten seine Karte, und dieser salutierte. Geneviève sah sich auf dem düsteren Platz um.
    »Der Ripper ist offenbar recht gut zu Fuß«, sagte sie.
    Beauregard warf einen Blick auf seine Savonnette. »Wir haben seine Zeit um fünf Minuten unterboten, aber wir wussten auch, wohin wir wollten. Er hat wahrscheinlich nicht eben die kürzeste Strecke genommen, insbesondere wenn es in seiner Absicht lag, die Hauptstraßen zu meiden. Er suchte vermutlich nur nach einem Mädchen.«
    »Und einem ruhigen Plätzchen.«
    »Sehr ruhig kann ich es hier nicht finden.«
    Hinter den Fenstern zum Hof waren Gesichter zu erkennen. Man beobachtete, was unten vor sich ging.
    »In Whitechapel sind die Leute recht bewandert in der Kunst, Dinge zu übersehen.«
    Geneviève durchmaß den kleinen, eingefriedeten Hof, als wolle sie die Atmosphäre dieses Ortes in sich aufsaugen.
    »Hier ist es perfekt; ruhig und doch nicht allzu abgeschieden. Ideal, will man in freier Luft der Hurerei nachgehen.«
    »Sie sind nicht wie andere Vampire«, bemerkte er.
    »Nein«, pflichtete sie bei. »Das will ich hoffen.«
    »Gehören Sie zu denen, die man als Älteste bezeichnet?«
    Sie klopfte auf ihr Herz. »Hier drinnen bin ich süße sechzehn, aber geboren bin ich 1416.«
    Beauregard schien verwirrt. »Dann sind Sie also nicht …«

    »Nicht vom Geblüt des Prinzgemahls? Allerdings. Mein Fangvater war Chandagnac, seine Fangmutter war Lady Melissa d’Acques und …«
    »Dann haben Sie mit alldem« - er breitete den Arm aus - »nichts zu schaffen?«
    »Wir alle haben mit alldem zu schaffen, Mr. Beauregard. Vlad Tepes ist ein übles Monstrum, und seine Nachkommen verbreiten seine üble Krankheit. Die arme Frau, die Sie heute Morgen gesehen haben, war ein gutes Beispiel für all das, was von seinem Geblüt zu erwarten ist.«
    »Sie arbeiten also als Ärztin?«
    Sie zuckte mit den Achseln. »Im Laufe der Jahre habe ich mich in vielen Fächern versucht. Ich war Hure, Soldatin, Sängerin, Geografin und Ganovin. Was immer mir am gelegensten erschien. Derzeit kommt mir die Medizin sehr gelegen. Mein Vater, mein leiblicher Vater, war Arzt, und ich war sein Lehrling. Elizabeth Garrett Anderson und Sophia Jex-Blake sind nicht die ersten Frauen, die als Ärztinnen praktizieren, müssen Sie wissen.«
    »Seit dem fünfzehnten Jahrhundert hat sich vieles geändert.«
    »Das ist mir durchaus bekannt. Ich habe darüber im Lancet gelesen. Ich halte nicht sehr viel von Blutegeln, es sei denn in ausgesuchten Fällen.«
    Beauregard fand Gefallen an diesem alten Mädchen. Geneviève war ganz anders als die - untoten wie warmblütigen - Frauen, die er kannte. Sei es aus Notwendigkeit oder aus freien Stücken, Frauen schienen immerzu abseits zu stehen und hinter vorgehaltener Hand zu tuscheln, schritten jedoch nie zur Tat. Er musste an Florence Stoker denken, die vorgab, all die gescheiten Leute, welche sie unentwegt bewirtete, auch zu begreifen, und ein jedes Mal ihren Verdruss bekundete, wenn etwas nicht nach ihrem Wunsch geriet. Und Penelope, die ihre Gleichgültigkeit zu einer heiligen Sache erhob und darauf beharrte, man möge ihren armen Kopf
nicht mit unschönen Einzelheiten behelligen. Selbst Kate Reed, eine neugeborene neue Frau, gab sich damit zufrieden, das Leben aufzuschreiben, statt es zu leben. Geneviève Dieudonné hingegen war mehr als eine bloße Zuschauerin. Sie erinnerte ihn ein wenig an Pamela. Pamela war immer ganz erpicht, ja begierig gewesen, an allem teilzuhaben.
    »Geht es bei dieser Angelegenheit um Politik?«
    Beauregard dachte sorgfältig nach, ehe er ihr eine Antwort gab. Er wusste nicht, wie viel er ihr verraten sollte.
    »Ich habe Erkundigungen über den Diogenes-Club eingezogen«, sagte sie. »Sie sind so etwas wie eine Regierungskanzlei, nicht wahr?«
    »Ich diene der Krone.«
    »Woher rührt Ihr Interesse an der Sache?«
    Geneviève stand an der Stelle, wo Catherine Eddowes gestorben war. Der Polizist wandte den Blick fort. Den roten Striemen

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