Die Vampire
versuchte, Liz Strides Kopf zu fassen, doch sie schüttelte ihn so heftig, dass ihre noch kaum verheilte Wunde aufriss.
»Das übersteht sie nicht«, meinte Geneviève. »Sie ist so gut wie vom Platz.«
Ein älterer oder stärkerer Vampir hätte womöglich überlebt - Geneviève selbst hatte Schlimmeres erlitten -, doch Liz Stride war eine Neugeborene und viel zu spät verwandelt worden. Seit Jahren schon ging sie dem Tod entgegen, vergiftete sie ihren Leib mit schlechtem Gin.
»Sie soll es ja auch nicht überstehen, sie soll nur endlich eine Aussage machen.«
»Inspektor, ich weiß nicht, ob sie überhaupt sprechen kann. Ich glaube, ihre Stimmbänder sind durchtrennt.«
Lestrades Rattenaugen blitzten. Liz Stride war der erste Trumpf,
den er gegen den Ripper ausgeteilt bekommen hatte, und den wollte er sich nicht nehmen lassen.
»Ihren Verstand hat sie wohl auch verloren, das arme Ding«, sagte Geneviève.
Nichts in den roten Augen deutete auf Intelligenz hin. Alles Menschliche, was diese Neugeborene besessen hatte, war fortgebrannt.
Die Tür wurde aufgestoßen, und Leute drängten ins Zimmer. Lestrade wandte sich um, um »Hinaus!« zu brüllen, doch der Befehl blieb ihm im Halse stecken.
»Mister Beauregard, Sir«, sagte er.
Der vornehm gekleidete Mann, den Geneviève bei der Untersuchung des Falles Lulu Schön gesehen hatte, betrat, gefolgt von Dr. Seward, den Raum. Im Flur standen noch mehr Menschen: Krankenwärterinnen und Pfleger. Die Amworth schob sich zur Tür herein und postierte sich an der Wand. Geneviève wollte, sie hätte einen Blick auf die Neugeborene geworfen.
»Inspektor«, sagte Beauregard. »Darf ich …«
»Es ist mir immer wieder ein Vergnügen, dem Diogenes-Club behilflich zu sein«, erwiderte Lestrade. Sein Tonfall erweckte den Anschein, als bereite es ihm ungleich größeres Vergnügen, sich Ätznatron in die Augen zu streuen.
Der Mann grüßte das neugeborene Mädchen mit einem Nicken und nannte sie bei ihrem Namen: »Kate.« Mit gesenktem Blick trat sie beiseite. Geneviève wollte einen Besen fressen, wenn sie nicht in Beauregard verliebt war. Höflich, aber bestimmt drängte er sich mit einer eleganten Bewegung zwischen die Constables. Er schlug den Umhang über seine Schultern, um sich Bewegungsfreiheit zu verschaffen.
»Gütiger Himmel«, sagte er. »Kann man denn so gar nichts tun für dieses arme Ding?«
Geneviève war gegen alle Gewohnheit beeindruckt. Beauregard
war der Erste, der es offenbar für wert befand, etwas für statt gegen eine Person wie Liz Stride zu unternehmen.
»Zu spät«, erklärte Geneviève. »Sie versucht sich zu neuem Leben zu erwecken, aber ihre Verletzungen sind zu schwer, ihre Kraftreserven zu mager …«
Das zerfetzte Fleisch rings um Liz Strides offene Kehle bebte, vermochte sich jedoch nicht recht zu schließen. Die Zuckungen kamen nun regelmäßig.
»Dr. Seward?«, bat Beauregard den Arzt um seine Meinung.
Der Direktor näherte sich der bockenden, mit Armen und Beinen schlegelnden Frau. Geneviève hatte seine Rückkehr nicht bemerkt, vermutete jedoch, dass ihn die Neuigkeiten zur Hall gelockt hatten. Abermals bemerkte Geneviève, welchen Ekel - den er zumeist im Zaum zu halten vermochte - er wider Vampire hegte.
»Ich fürchte, Geneviève hat ganz Recht. Das arme Geschöpf. Ich habe oben noch ein wenig Silbersalz. Damit könnten wir ihr das Sterben erleichtern. Das wäre die gnädigste Lösung.«
»Erst soll sie mir einige Fragen beantworten«, fuhr Lestrade dazwischen.
»Um Himmels willen, Mann«, entgegnete Beauregard. »Sie ist ein Mensch und kein Indiz.«
»Die Nächste wird wohl auch ein Mensch sein, Sir. Womöglich können wir die Nächste retten. Die Nächsten.«
Seward legte Liz Stride die Hand auf und blickte ihr in die Augen, die aussahen wie rote Murmeln. Er schüttelte den Kopf. Mit einem Mal war die verletzte Neugeborene von einer gewaltigen Kraft besessen. Sie schleuderte Constable Watkins fort und stürzte sich mit aufgerissenem Schlund auf den Direktor. Geneviève stieß Seward beiseite und duckte sich, um Liz Strides messerscharfen Krallen zu entgehen.
»Sie wandelt die Gestalt«, schrie Kate.
Liz Stride bäumte sich auf und zog mit gekrümmtem Rückgrat die Gliedmaßen ein. Ihr Gesicht wuchs aus zu einer wolfsartigen Schnauze, und Haarbüschel entsprossen ihrer nackten Haut.
Seward kroch im Krebsgang auf die Wand zu. Lestrade rief seine Männer zurück. Beauregard griff in seinen Umhang. Kate schob sich einen
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