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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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Licht«, bemerkte sie.
    »Das Haus ist eben alt.«
    »Ich hatte eigentlich erwartet, einen Mann der Wissenschaft inmitten schimmernder Zukunftsapparate vorzufinden und nicht im trüben Dunkel der Vergangenheit.«
    Charles stützte sich achselzuckend auf seinen Stock. Der Diener kehrte zurück und führte sie in den hinteren Teil des Hauses. Sie durchquerten einen bedachten Innenhof und kamen zu einem hell erleuchteten Gebäude, das unmittelbar an die Rückseite von Dr. Jekylls Haus grenzte. Eine mit rotem Boi bezogene Tür stand offen, und Stimmen waren zu hören.
    Charles trat beiseite und ließ ihr den Vortritt. Das Laboratorium war ein hoher, an einen Operationssaal gemahnender Raum; die Wände waren mit Büchergestellen und Karten bedeckt, und überall standen Tische und Bänke, auf denen sich ein kompliziertes Wirrwarr aus Retorten, Brennern und Reagenzgläsern befand.
    Es roch stark nach Seife. Andere Gerüche waren wohl nicht einmal mehr durch fleißiges Scheuern zu beseitigen.
    »Danke, Poole«, sagte Jekyll und entließ seinen Diener, der sich allem Anschein nach voller Erleichterung ins Haupthaus zurückzog. Sein Herr hatte sich bei ihrem Eintreten angeregt mit einem breitschultrigen, vorzeitig ergrauten Mann unterhalten.
    »Willkommen, Mr. Beauregard«, sagte Jekyll. »Und Miss Dieudonné.«
    Er machte eine leichte Verbeugung und wischte sich eine Substanz von den Händen, die sonderbare Schmierflecke an seiner Lederschürze hinterließ.
    »Das ist mein Kollege, Dr. Moreau.«
    Der weißhaarige Mann hob die Hand zum Gruß. Geneviève wusste sofort, dass sie Dr. Moreau nicht mögen würde.

    »Wir haben soeben über das Blut gesprochen.«
    »Ein hochinteressantes Thema«, wagte Charles sich vor.
    »In der Tat. Überaus interessant. Dr. Moreau vertritt radikale Ansichten, was die Klassifizierung des Blutes betrifft.«
    Die beiden Wissenschaftler hatten vor einer Bank gestanden, über die ein Stück Wachstuch ausgebreitet war. Auf dem Tuch verstreut lag ein Durcheinander aus Staub und Knochenfragmenten, die den schemenhaften Umriss eines Menschen bildeten: ein krummes Stück, das wohl eine Stirn gewesen sein mochte, einige gelbe Zähne, ein paar Stäbe, die an Rippen gemahnten, und eine große Menge bröckliger rotgrauer Materie, die Geneviève zu ihrem Bedauern nicht zum ersten Mal erblickte.
    »Das war ein Vampir«, meinte sie. »Ein Ältester?«
    Ein gewöhnlicher Neugeborener wäre nicht derart zerfallen. Chandagnac hatte sich in Asche wie diese verwandelt. Zum Zeitpunkt seiner Vernichtung war er über vierhundert Jahre alt gewesen.
    »Wir hatten Glück«, erklärte Jekyll. »Graf Vardalek hatte sich eines Vergehens wider den Prinzgemahl schuldig gemacht und wurde hingerichtet. Sowie ich von der Sache erfuhr, suchte ich um seine sterblichen Überreste an. Diese Gelegenheit hat sich als unschätzbar erwiesen.«
    »Vardalek?«
    Jekyll machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ein Karpater, wenn mich nicht alles täuscht.«
    »Ich kannte ihn.«
    Jekyll schien seinem wissenschaftlichen Enthusiasmus für einen Augenblick entrissen. »Ich bin zutiefst betrübt, bitte verzeihen Sie meinen Mangel an Schicklichkeitsgefühl …«
    »Keine Ursache«, erwiderte sie, während sie sich vorstellte, wie das grell geschminkte Gesicht des Ungarn sich über die Schädelreste spannte. »Wir waren nicht eben befreundet.«

    »Wir müssen die Physis der Vampire studieren«, sagte Moreau. »Sie ist von außerordentlichem Interesse.«
    Charles sah sich im Laboratorium um, warf hie und da einen Blick auf die im Gange befindlichen Experimente. Kotiger Schlamm tropfte in einen Becher unmittelbar vor seiner Nase und verzischte dort zu violettem Schaum.
    »Sehen Sie«, wandte sich Jekyll an Moreau. »Das Präzipitat reagiert normal.«
    Der weißhaarige Wissenschaftler gab keine Antwort. Offenbar hatte Jekyll eine seiner Theorien widerlegt.
    »Unsere Angelegenheiten«, begann Charles, »sind nicht so sehr wissenschaftlicher als vielmehr kriminalistischer Natur. Wir verfolgen die Whitechapel-Morde. Die Sache Jack the Ripper.«
    Jekyll schwieg.
    »Haben Sie womöglich selbst Interesse an dem Fall genommen? Einer gerichtlichen Untersuchung beigewohnt oder dergleichen?«
    Jekyll bejahte, sagte jedoch weiter nichts.
    »Haben Sie bestimmte Schlüsse ziehen können?«
    »Über den Mörder? Nicht sehr viele. Ich bin der festen Überzeugung, dass ein jeder von uns, befreit man ihn von den Zwängen zivilisierten Verhaltens, zu jeglicher

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