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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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Ausschweifung imstande ist.«
    »In seinem tiefsten Innern ist der Mensch ein Tier«, sagte Moreau. »Darin liegt seine verborgene Kraft.« Er ballte die behaarten Hände zu Fäusten.
    Geneviève war gewiss, dass der Wissenschaftler über enorme Körperkräfte verfügte. Es lag beinahe etwas Affenartiges in seiner Konstitution. Es wäre ihm ein Leichtes, jemandem die Kehle durchzuschneiden oder eine eilige Sektion vorzunehmen, eine Silberklinge in renitentes Fleisch zu treiben, Knochen entzweizusägen.

    »Mein Interesse«, fuhr Jekyll fort, »gilt zuallererst den Opfern. Den Neugeborenen. Die meisten von ihnen gehen dem sicheren Tod entgegen, müssen Sie wissen.«
    Derlei war Geneviève durchaus nicht neu.
    »Vampire sind aller Möglichkeit nach unsterblich. Doch sind sie trotz ihrer Unsterblichkeit in höchstem Maße anfällig. Etwas in ihrem Innern treibt sie zur Selbstzerstörung.«
    »Insbesondere jene, die ihre Gestalt zu wandeln in der Lage sind«, sagte Moreau. »Sie drehen die Uhr der Evolution zurück, sie sind ein Atavismus. Die Menschheit befindet sich am Scheitelpunkt der Parabel irdischen Lebens; der Vampir hingegen stellt gleichsam den Schritt hinaus über den Bug des Schiffes dar, den ersten Fehltritt auf dem Pfad der Rückkehr zur Barbarei.«
    »Dr. Moreau«, erwiderte Geneviève, »wenn ich Sie recht verstehe, so könnte ich dies wohl als Beleidigung begreifen.«
    Jekyll fuhr dazwischen. »Aber, aber, Miss Dieudonné, nicht doch. Sie sind der interessanteste Fall, den man sich nur vorstellen kann. Ihre fortwährende Existenz ist der beste Beweis dafür, dass Vampire keineswegs einen Rückschritt auf der Leiter der Evolution zu bedeuten brauchen. Ich würde Sie zu gern einmal umfassend untersuchen. Es ist durchaus denkbar, dass in Ihnen die Menschheit zur Perfektion gereift ist.«
    »Mir ist ganz und gar nicht danach, jemandem zum Ideal zu dienen.«
    »Und ebenso wird es auch bleiben, bis Sie in einer perfekten Welt Ihr Dasein führen. Wenn es uns gegeben wäre, jene Faktoren zu bestimmen, die einen Ältesten von einem Neugeborenen unterscheiden, könnten wir womöglich viele Leben retten.«
    »Neugeborene sind wie junge Schildkröten«, sagte Moreau. »Zu Hunderten schlüpfen sie aus dem Ei, doch nur wenigen gelingt es, aus dem Sand ins Meer zu kriechen, ohne einem Seevogel zum Opfer zu fallen.«

    Charles hörte aufmerksam zu, gestattete ihr, die Wissenschaftler auszufragen. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was er von ihnen zu erfahren hoffte.
    »Ohne Ihrer durchaus schmeichelhaften Vermutung widersprechen zu wollen, bei meiner Wenigkeit handele es sich um die Erfüllung eines göttlichen Plans, ist unter Wissenschaftlern doch zweifellos die Auffassung verbreitet, dass Vampire keineswegs eine abgesonderte Spezies der Menschheit darstellen, sondern vielmehr einen parasitären Auswuchs unseres Stammbaums, der allein kraft eines Lebensmittels zu existieren vermag, das er unseren warmblütigen Verwandten wegstiehlt?«
    Von einem Augenblick zum anderen war der sanftmütige Jekyll beinahe rot vor Zorn. »Ich bin zutiefst enttäuscht, dass Sie solch antiquierte Ansichten hegen.«
    »Ich hege sie lediglich, Doktor. Ich würde ihnen jedoch keinesfalls besondere Pflege angedeihen lassen.«
    »Sie möchte Sie doch nur zu einem Disput herausfordern, Harry«, erklärte Moreau.
    »Natürlich, verzeihen Sie. Um Ihnen eine einfache Antwort zu geben: Vampire sind ebenso wenig Parasiten, nur weil sie sich von Menschenblut ernähren, wie Menschen Parasiten sind, nur weil sie sich vom Fleisch des Rindviehs ernähren.«
    Geneviève kitzelte der rote Durst in der Kehle. Sie hatte die letzten Tage verschlafen, und wenn sie nicht so bald wie möglich neue Nahrung fände, würde ihre Kraft dahinschwinden.
    »Manche von uns pflegen Ihresgleichen als ›Vieh‹ zu bezeichnen. Jener staubige Herr dort drüben war dafür berühmt, sich dieses Wortes zu befleißigen.«
    »Das ist durchaus verständlich.«
    »Vardalek war ein überhebliches Karpaterschwein, Doktor. Ich kann Ihnen versichern, dass ich seine Verachtung für die Warmblüter keineswegs teile.«

    »Freut mich zu hören«, warf Charles ein.
    »Haben Sie eigentlich niemals versucht, den dunklen Kuss zu empfangen?«, fragte sie. »Im Namen der Forschung wäre dies gewiss ein logischer Schritt.«
    Jekyll schüttelte den Kopf. »Wir möchten das Phänomen in größerem Maße untersuchen. Der Vampirismus mag ein geeignetes Mittel gegen den Tod

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