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Die Vampire

Titel: Die Vampire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Newman
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Kaltsinn einer medizinischen Operation. Van Helsing hätte das verstanden. Ich muss an die Kelly denken, an die bestialischen Augenblicke, die wir gemeinsam verbrachten. Sie ist meiner, der wahrhaften Lucy ja so ähnlich. Wenn ich mir die zärtlichen Empfindungen auf meiner Haut ins Gedächtnis rufe, bekomme ich einen trockenen Mund. Ich werde erregt. Die Bisse, welche die Kelly mir zugefügt hat, beginnen zu jucken. Das Jucken ist Schmerz und Lust zugleich. Mit dem Jucken rührt
sich ein Verlangen, ein kompliziertes Verlangen. Es ist ganz anders als die simple Sucht nach Morphium, die mich befällt, wenn der Schmerz gar unerträglich wird. Es ist ein Verlangen nach den Küssen der Kelly. Doch dieses Verlangen birgt viel mehr, unzählige Begierden.
    Ich weiß, dass ich das Rechte tue. Ich habe recht getan, Lucy zu retten, indem ich ihr den Kopf abtrennte, und ich habe recht getan, die anderen zu entbinden. Die Nichols, die Schön, die Stride, die Eddowes. Ich tue recht. Aber ich werde damit aufhören. Ich bin Nervenarzt, und die Kelly war mir Grund genug, den Blick erneut auf mich selbst zu richten. Ist mein Verhalten denn tatsächlich so anders als das Renfields, der kleine Tode sammelte, wie ein Geizhals Pennies hortet? Der Graf machte eine Abnormität aus ihm, wie er auch mich in ein Monstrum verwandelt hat. Und ich bin ein Monstrum. Jack the Ripper, Saucy Jack, Red Jack, Bloody Jack. Man wird mich in eine Reihe stellen mit Sweeney Todd, Sawney Bean, Mrs. Manning, dem »Gesicht am Fenster« und Jonathan Wild: endlos wiedergekäut in ›Famous Crimes: Past and Present‹. Schon jetzt gibt es Schauerromane; bald wird man mir Varieté-Nummern widmen, sensationelle Melodramen, ein Konterfei aus Wachs in der Schreckenskammer Mme. Tussauds. Dabei wollte ich ein Monstrum vernichten und nicht selbst zum Monstrum werden.

27
    Dr. Jekyll und Dr. Moreau
    M eine liebe Mlle. Dieudonné«, begann die Nachricht, die der schätzenswerte Ned ihr überbracht hatte, »ich habe im Zusammenhang mit unseren Ermittlungen einen Besuch zu machen und wüsste gern einen Vampir bei mir. Könnten Sie sich den heutigen Abend zur Verfügung halten? Man wird Ihnen einen Wagen nach Whitechapel schicken. Später mehr. Beauregard.«
    Wie es sich ergab, befand sich Charles Beauregard persönlich im Wagen, frisch rasiert und gekleidet, einen Hut auf dem Schoß und einen Stock an seiner Seite. Er schien sich allmählich die Gewohnheiten der Vampire zu eigen zu machen, die bei Tage schliefen und bei Nacht auf Raub ausgingen. Er nannte dem Kutscher eine Adresse in der Stadt. Vergnüglich schaukelnd ließ der Hansom das East End hinter sich.
    »Nichts wirkt so beruhigend wie das Innere eines Hansom«, verkündete Charles. »Er ist wie eine Miniaturfestung auf Rädern, ein Hort des Trostes in der Finsternis.«
    Da ihr Begleiter allem Anschein nach eine poetische Ader hatte, war Geneviève dankbar, bei der Auswahl ihrer Kleidung mit allergrößter Sorgfalt vorgegangen zu sein. Zwar würde man ihr schwerlich Einlass in den Palast gewähren, doch erregte ihr Aufzug wenigstens nicht den Verdacht, sie sei dem männlichen Geschlecht feindlich gesinnt. Sie hatte sich mit einem Samtumhang und dem dazu passenden Halsband abgeplagt und reichlich Zeit darauf verwendet, ihr Haar zu bürsten, das sie nun offen um die Schultern trug. Jack Seward fand das arrangement » entzückend«, und da ihr die Freuden eines Spiegels verwehrt blieben, musste sie sich auf sein Wort verlassen.

    »Sie scheinen verändert heute Abend«, bemerkte Charles.
    Sie lächelte, krampfhaft bemüht, ihre Zähne zu verbergen. »Ich fürchte, das liegt an diesem Kleid. Ich kann kaum atmen.«
    »Ich dachte, Sie brauchten nicht zu atmen.«
    »Das ist ein weit verbreiteter Irrtum. Auf gewisse Weise verstehen es die Ignoranten, gänzlich unvereinbare Ansichten aufrechtzuerhalten. Einerseits sind Vampire daran zu erkennen, dass sie nicht zu atmen brauchen. Andererseits verfügen Vampire über den widerlichsten Atem, den man sich nur vorstellen kann.«
    »Sie haben selbstverständlich Recht. Daran habe ich noch nie gedacht.«
    »Wir sind natürliche Lebewesen, wie alle anderen auch«, erklärte sie. »Mit Magie haben wir nichts zu schaffen.«
    »Und was die Sache mit den Spiegeln anbetrifft?«
    Auf diese Frage kam es ein jedes Mal heraus, die Sache mit den Spiegeln. Dafür hatte niemand eine Erklärung.
    »Vielleicht ist doch ein klein wenig Magie dabei«, sagte sie, indem sie dies mit Daumen und

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