Die verbannte Braut (German Edition)
sein Haar jetzt lang und zu einem Zopf gebunden. Bei näherem Hinsehen entdeckte sie eine Narbe, die sich über seine linke Gesichtshälfte zog, und unter der Augenklappe verschwand. Offenbar war die Klappe doch kein Fake.
"Ist er nicht hinreißend?", flüsterte Lady Watson.
Die beiden anderen Damen murmelten leise Zustimmungen, doch Eve war zu erstarrt, um irgendetwas zu sagen.
***
Seitdem sie wusste, dass er lebte, hatte sie keine ruhige Minute mehr. Sie schlief schlecht und war ständig abwesend und appetitlos. Sie verstand nicht, warum er sich als Comte Delaunay ausgab und wieso er sich in London aufhielt. Ganz zu schweigen davon, warum er sie hatte glauben machen, er wäre tot. Wollte er sich von ihr befreien? Und warum schmerzte dieser Gedanke so entsetzlich?
Lothar, der Butler, trat ins Zimmer.
"Lady Watson für Euch, Mylady", kündigte er an, ehe eine aufgeregte Lady Watson an ihm vorbei rauschte.
"Guten Morgen, meine Liebe", rief sie überschwänglich und küsste Eve auf beide Wangen.
"Guten Morgen. Wie schön, dass Ihr mich mit Eurem Besuch beehrt. Setzt Euch doch bitte", sagte sie und an den Butler gerichtet: "Veranlasse bitte, dass man uns Tee und Gebäck bringt."
Der Butler verbeugte sich.
"Sehr wohl, Mylady."
Als er gegangen war, schaute Eve ihre Besucherin neugierig an. Sie konnte förmlich riechen, dass, was immer die Frau so in Erregung versetzt hatte, es etwas mit ihrem Gatten zu tun haben musste. Ein Stich von Eifersucht bohrte sich in ihr Herz.
"Lady Hewitt. Ich gebe einen Ball am nächsten Samstag und möchte Euch hiermit persönlich meine Einladung überbringen", sagte Lady Watson.
"Ich danke sehr für die Einladung. Ich muss erst in meinen Terminkalender sehen, ob ich nicht schon verplant bin. Ich würde natürlich gern zu Eurem Ball kommen."
Eve wusste, dass sie nichts vorhatte, doch ihr war nicht mehr nach Bällen zumute. Vielmehr dachte sie daran, wieder nach Ravenloft zurückzukehren. Sie hatte genug von London. Und vor allem wollte sie Ronan nicht über den Weg laufen.
"Oh, aber Ihr müsst kommen. Es wird
der
Ball der Saison. Bitte sagt zu."
Eve seufzte und nickte wider besseren Wissens.
"Wunderbar." Lady Watson gab Eve eine Karte und sagte: "Da steht alles drauf. Ort und Zeit."
Ein Mädchen kam und servierte den Tee. Danach plauderten die Damen über belanglose Dinge wie Mode und Wetter.
***
Ronan zündete sich eine Zigarre an und legte die Füße hoch. Er nahm die Augenklappe ab, die sein gesundes Auge verdeckte. Die Narbe auf seiner Wange endete haarscharf unter dem Auge. Ja, es hatte wirklich nicht viel gefehlt, dass er sein Auge verloren hätte, doch er hatte Glück gehabt. Allerdings kam die Narbe ihm nun sehr recht, denn sie erweckte den Anschein, sein Auge würde von der Verletzung ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen sein, was das Tragen der Augenklappe zu etwas Authentischem machte. Er ließ eine Hand in den Nacken gleiten und löste das Band, das sein schulterlanges Haar zusammenhielt. Die Augenklappe, die Narbe, die langen Haare, sein französischer Akzent und die tiefe braune Gesichtstönung war genug, dass ihn bisher niemand erkannt hatte. Es war natürlich auch dem Umstand zu verdanken, dass er sich schon seit Jahren nur äußerst selten in London hatte sehen lassen und er auch kaum am gesellschaftlichen Leben teilgenommen hatte.
Während er in Ägypten war, hatte er von einem der Männer in seiner Einheit etwas Interessantes erfahren, was er hier in London weiter zu recherchieren gedachte. Leider verlangten die Umstände, dass er sich wohl oder übel in der Gesellschaft bewegen musste, um zu erfahren, was er wissen musste. Er hatte die Nase gestrichen voll von den ganzen Operetten, Theaterbesuchen und noch schlimmer – Bällen. Heute Abend würde er zu einem Ball bei Lady Watson gehen. Er hoffte, dort die benötigten Informationen zu bekommen. Wenn er diese ganze Sache endlich abgeschlossen hatte, dann konnte er hoffentlich Frieden finden. Er träumte davon, nach Hause zurückzukehren und seine Frau in die Arme zu schließen. Leider war das Ganze nicht so simpel. Erstens galt er offiziell als tot. Zweitens war sie bei ihrer letzten Begegnung nicht gerade über sein Auftauchen erfreut gewesen und er rechnete auch nicht damit, dass es jetzt anders sein würde.
Der Gedanke an Henrietta war das Einzige gewesen, was ihn während der Gefangenschaft in Ägypten am Leben erhalten hatte. Es war ihr Gesicht gewesen, dass er sich ins Gedächtnis gerufen hatte,
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