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Die Verbannung

Titel: Die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianne Lee
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ist, mit ihr zu sprechen, werden wir das wohl nie erfahren.«
    Der Winter kam, und Dylans Zahnschmerzen verschlimmerten sich schlagartig. Im November pochte sein gesamter Kiefer unablässig. Der Schmerz zog sich bis zur Schädeldecke empor. Er hatte zwar schon wesentlich stärkere Schmerzen ausgehalten, aber allmählich kam er zu dem Schluss, dass er damals auf dem Schlachtfeld besser gestorben wäre, dann hätte er wenigstens diese Qualen nicht ertragen müssen. Der Zahn war jetzt zum Teil abgebrochen; darunter hatte sich eine Schwellung gebildet. Dylan hatte alle seine Aspirintabletten dazu verwandt, das Unvermeidliche hinauszuzögern. Das, wovor er sich seit Monaten fürchtete, musste jetzt bald geschehen: Der Zahn musste gezogen werden, damit die Entzündung abheilen konnte.
    Der hiesigen Tradition zufolge übernahm der Schmied all die medizinischen Aufgaben, die nicht von einer Hebamme oder einem Arzt ausgeführt wurden. Hebammen halfen Babys auf die Welt, und die Ärzte kümmerten sich hauptsächlich darum, die Körpersäfte im Gleichgewicht zu halten. Da niemand in diesem Jahrhundert auch nur ansatzweise Ahnung von der menschlichen Anatomie hatte, war Dylan all diesen Quacksalbern nach Möglichkeit aus dem Weg gegangen.
    Das Schicksal wollte es so, dass Tormod Matheson, der Schmied von Ciorram, der einzige Mann im Dorf war, der eine Zange besaß; und da Dylan nicht die Absicht hatte, diese selbst anzusetzen, blieb ihm gar nichts anderes übrig, als Tormod den entzündeten Zahn ziehen zu lassen. Der Winter stand vor der Tür, und er hatte keine Entschuldigung mehr, die Operation noch länger aufzuschieben.
    »Hier, nimm das mit.« Cait reichte ihm einen kleinen verkorkten Tonkrug, als er das Haus verlassen wollte.
    Dylan zog den Korken heraus und schnupperte. Whisky. Ungefähr eine halbe Gallone, grob geschätzt. »Wo hast du den her?«
    »Ich habe für Keith Römach ein Hemd genäht und bestickt« Dylan hob die Augenbrauen, woraufhin Cait erklärte: »Er macht Owen Brodies Tochter den Hof, wusstest du das nicht?«
    Dylan lachte. »Nein. Ich bin immer der Letzte, der so etwas erfährt. Wie lange geht das denn schon so?«
    »Lenk nicht vom Thema ab und trödel auf dem Weg zu Tormod nicht so lange herum, bis die Sonne untergeht und es zu spät ist.« Sie nickte in Richtung des Kruges. »Das da wird die Schmerzen etwas lindern. Trink, so viel du kannst, aber gib Tormod nichts ab, bis er den Zahn gezogen hat. Wenn du Glück hast, verlierst du vorher das Bewusstsein. Jetzt geh und sag Tormod, dass er es mit mir zu tun bekommt, wenn er dir den Kiefer bricht.«
    Dylan betastete stöhnend die Schwellung auf seiner Backe, dann verkorkte er den Krug wieder. »Danke.« Er küsste sie flüchtig und machte sich auf den Weg zu Tormods Haus.
    Auf dem Weg hinunter ins Tal nahm er immer wieder kräftige Schlucke aus dem Whiskykrug, und tatsächlich hatte der Schmerz, als er bei Tormod ankam, bereits merklich nachgelassen. Halbherzig überlegte er, ob er wieder nach Hause gehen sollte, entschied sich dann dagegen, weil er wusste, dass Cait ihm dann die Hölle heiß machen würde.
    Tormod stand in dem Steinschuppen, in dem seine Schmiede untergebracht war, und begrüßte ihn mit einem Kopfnicken, Das Haus des Schmiedes bestand zwar aus Torf, die Wände der Schmiede waren jedoch aus festem Stein erbaut, um die Feuergefahr zu mindern. Das Strohdach geriet allerdings ab und an in Brand, viel Schaden konnten die Flammen jedoch nicht anrichten. Heute war Tormod damit beschäftigt, Hufeisen anzufertigen. Eine ganze Reihe halbmondförmiger Eisenstücke stapelten sich bereits auf seinem Amboss. »Dylan Dubh! Ich soll dir den Zahn ziehen, nicht wahr?«
    Dylan nickte und trank noch einen Schluck Whisky.
    Tormod deutete zum Haus hinüber. »Gleich hinter der Tür steht ein Stuhl. Bring ihn nach draußen, da ist das Licht besser.« Der Himmel war zwar wolkenverhangen, aber jede Art von Tageslicht war dem Schein einer Kerze vorzuziehen, wenn man in dem Mund eines Mannes herumfuhrwerken musste. Dylan tat, wie ihm geheißen, dann nahm er noch ein paar Schlucke aus dem Krug, während er darauf wartete, dass Tormod seine Arbeit beendete. Der Schmied hämmerte das Hufeisen zurecht, tauchte es in einen Eimer mit Wasser und legte es auf den Stapel.
    »Donnchadh!«, rief er dann seinem Lehrling, Ailis' kleinem Bruder, zu. »Hol mir ein Leinentuch!« Der Junge kam aus einer dunklen Ecke des Schuppens hervor und eilte ins Haus.
    Dylan ließ sich auf

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