Die Verbannung
winterlichen Kälte zum Trotz eine nahezu unerträgliche Hitze. Der Schmelzgehilfe, der unter seiner Lederschürze noch nicht einmal ein Hemd trug, beugte sich schwitzend über das rot glühende flüssige Metall. Nahe der Wand drehte ein Lehrling ein Rad, das einen riesigen Stein bewegte, an dem ein zweiter Lehrbub ein neu geschmiedetes Schwert schärfte. Der Schmied selbst passte gerade eine lange Klinge in ein Messingheft ein. Überall an den Wänden hingen zum Verkauf bestimmte Schwerter an hölzernen Haken, manche neu, manche bereits gebraucht. Dylan musterte sie alle prüfend und wünschte, er hätte mehr Geld zur Verfügung.
Nachdem er die prachtvollen vergoldeten und versilberten Waffen lange Zeit verlangend betrachtet und die schlichten, aber erschwinglichen Gebrauchsschwerter naserümpfend als untauglich abgetan hatte, entschied er sich für den Mittelweg und prüfte ein paar Schwerter guter Qualität, die seine Geldbörse nicht allzu sehr schmälern würden. Am Ende erwarb er ein Breitschwert mit Messingheft, dessen Griff mit Drahtgeflecht überzogen, aber leider nur mit einem einzigen schmalen Schutzbogen versehen war. Geistesabwesend spreizte er die narbenübersäten Finger seiner rechten Hand. Dort hatte er sich einmal auf Grund des fehlenden Schutzes tiefe Schnittwunden zugezogen. Aber eine bessere Waffe konnte er sich nicht leisten, außerdem war das Schwert neu - eine entschiedene Verbesserung gegenüber dem, das er verloren hatte.
Er händigte dem Schmied die verlangte Summe aus, befestigte die neue, mit Leder überzogene Scheide an seinem alten, abgenutzten Wehrgehenk, zog das Schwert mehrmals heraus und schob es wieder hinein. Es ließ sich wesentlich leichter handhaben als seine alte Waffe. Heute Abend würde er in irgendeinem Hinterhof ein paar Übungen absolvieren, um sich mit seinem neuen Schwert vertraut zu machen. Dann wandte er sich an Sinann. »Komm, Tink. Ramsay musste schon lange genug auf seinen Leibwächter verzichten. Wir wollen doch nicht, dass ihm etwas zustößt.«
Sinann folgte ihm auf die Straße hinaus. »Glaubst du, er ist inzwischen in seinem Büro überfallen oder von einem seiner Angestellten hinterrücks ermordet worden?«
Dylan kicherte. »Das wäre zu schön, um wahr zu sein.«
Der Winterwind zerrte an Dylans Mantel, als er sich gegen die steinerne Mauer der Gasse lehnte, die zum Hof vor Ramsays Haus führte. Von seinem Standpunkt aus konnte er direkt auf die riesigen Bleiglasfenster blicken, hinter denen unzählige Kerzen leuchteten und beredtes Zeugnis vom Reichtum des Hausbesitzers ablegten. Seit seiner Rückkehr aus Perth hatte sich Dylan jeden Abend hier eingefunden. Er verbarg sich immer in derselben Ecke dieser einsamen Gasse, beobachtete die Fenster, hoffte darauf, einen Blick auf Cait zu erhaschen, und fragte sich, wie das Haus wohl von innen aussehen mochte. Er vermutete, dass zu beiden Enden des zweiten Stockes Schlafräume lagen, obwohl sich der riesige Saal mit den hohen Fenstern über den größten Teil des ersten und des zweiten Stockwerkes erstreckte. Im dritten Stock gab es ein paar kleinere Fenster, in denen meistens noch Licht flackerte, wenn der Rest des Hauses schon lange im Dunkeln Lag. Manchmal hörte er dort oben eine Frau lachen und hoffte, es möge Cait sein, obgleich es ihn schmerzte, dass sie ohne ihn glücklich zu sein schien.
»Vielleicht braucht sie mich ja gar nicht mehr?«, flüsterte er Sinann zu. Sein Talisman steckte an seinem Mantelaufschlag, daher war er ebenso unsichtbar wie sie.
Die Fee, die sich neben seinen Füßen gegen die Wand gelehnt und ein wenig gedöst hatte, fuhr mit einem Ruck hoch. »Was ist denn?«
»Sie klingt, als ob sie glücklich und zufrieden wäre. Vielleicht hat sie es ja doch gut bei ihm.«
Sinann lauschte dem Gelächter eine Weile, dann schüttelte sie den Kopf. »Das ist nicht Cait, sondern Ramsays Hure.«
Dylan wandte den Blick vom Fenster ab und starrte die Fee ungläubig an. »Was sagst du da?«
»Das ist seine Hure. Er beherbergt eine Frau in den Räumen des dritten Stockwerks, das habe ich dir doch erzählt.«
»Nein, das hast du nicht. Ist das dieselbe Frau, die er in Canongate besucht?«
Wieder schüttelte Sinann den Kopf. »Unser Freund tanzt auf mehreren Hochzeiten. Und wenn die beiden voneinander wüssten, würden sie sich die Augen auskratzen.«
»Wieso? Wissen sie denn nicht, dass er verheiratet ist?«
Die Fee kicherte. »Der Lachs hatte Recht, du weißt nicht viel von der Welt. Den
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