Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)
Zeit auf Münzen, buddhistische Statuen und sogar goldene Gegenstände. Gewöhnlich passiert es im Sommer, wenn die Schneeschmelze in den Kunlun-Bergen einsetzt und das Wasser die Altertümer aus dem Löss wäscht. Die Zeit der spektakulären Entdeckungen ist allerdings vorbei.« Weidian unterbrach sich, um ein großes Stück von seinem baozi abzubeißen. »Jedenfalls bekommen wir keine außergewöhnlichen Antiquitäten zu Gesicht. Ich vermute schon lange, dass die Bauern uns nicht alle Fundstücke aushändigen, sondern die am besten erhaltenen unter der Hand verkaufen. Wie und an wen, ist uns ein Rätsel, obwohl wir mehrfach das Dorf durchsucht und mehreren Verdächtigen auf den Zahn gefühlt haben. Du hast es erlebt: Die halten zusammen wie Pech und Schwefel. Wir haben ihnen nichts nachweisen können.«
»Ein verdeckter Ermittler könnte …«
»Machst du Witze? Die sind alle verwandt und verschwägert. Der Mann kann sich gleich ein Schild mit der Aufschrift ›Polizei‹ umhängen.«
»War ja nur ein Vorschlag«, brummte Li Yandao und versank ins Grübeln.
Wei Weidian kaute konzentriert weiter, bis auch das letzte Krümelchen von seinem Teller verschwunden war.
»Essen regt das Denkvermögen an. Was hältst du von dieser Theorie: Yakub stolpert über eine Antiquität und versucht, sie zu verkaufen, wahrscheinlich über Mittelsmänner. Bei der Übergabe kommt es zum Streit, Hitzkopf Yakub wird von einem noch dümmeren Hitzkopf ein Messer in den Bauch gerammt, kann fliehen und schleppt sich mit letzter Kraft in die Röhre. Der Käufer oder Mittelsmann findet ihn, nachdem die Totenstarre eingesetzt hat, und nimmt ihm das Ding ab. Du verhaftest den Mittelsmann, der Fall ist gelöst, und wir können zur Feier des Tages ein Festbankett abhalten.«
»Diesen Einfall hatte ich auch gerade«, sagte Li Yandao nachdenklich. »Bist du während deiner Nachforschungen jemals über den Namen Hakim gestolpert?«
»Noch ein Witz? Hast du einen Nachnamen? Sonst kann ich dir innerhalb einer Stunde dreihundert Männer gegenüberstellen, die so heißen. Morgen noch mehr.«
»Die Männer, die ich im Feld belauscht habe, erwähnten den Namen. Der Mann scheint im Dorf eine wichtige Funktion zu haben. Vielleicht ist er der Mittelsmann?«
»Ich werde mich umhören, aber versprich dir nicht zu viel davon.«
»Danke.«
»Gern geschehen. Wollen wir noch etwas bestellen?«
* * *
Als Batügül gegen zehn Uhr abends auf den Hof trat, saßen Li Yandao, Koresh, ihr Vater und ihr Großvater im Schneidersitz auf den Teppichen, mit denen die Veranda bedeckt war. Eine einzelne Lampe tauchte die Männer in weiches Licht. Gegen die nächtliche Kälte hatten sie sich in dicke Decken gewickelt, tranken kannenweise dampfend heißen Tee und amüsierten sich über eine von Großvater Kumrans Geschichten. Es geht also doch, dachte Batügül. Chinesen und Uighuren müssen sich nicht automatisch spinnefeind sein. Ein kleiner Hoffnungsschimmer in einer Zeit, die von Unverständnis und Missachtung verdunkelt ist. Sie holte sich ein Stück Brot und eine Tasse aus der Küche und setzte sich zu den Männern.
»Hallo, endlich ist unsere Frau Doktor auch da«, begrüßte Koresh sie und reichte ihr eine Decke. »Hattet ihr einen Notfall?«
»Nein, ich habe meinen Schreibkram erledigt, und nach einiger Überzeugungsarbeit hat sich eine Kollegin bereit erklärt, ihre Schicht mit mir zu tauschen. Morgen habe ich frei.« Sie lächelte Li Yandao an. »Willkommen in Khotan, Yandao!«
Er deutete eine Verbeugung an, die wegen der Decken völlig missriet. »Vielen Dank für die Einladung, Batügül. Vielen Dank an euch alle«, sagte er in die Runde.
»Wie ist dein Tag verlaufen? Du sagtest, dass du beruflich zu tun hattest.«
»Durchwachsen. Ich bin bei dem Kanalröhren-Mord auf eine interessante Spur gestoßen, aber ich fürchte, damit hat es sich auch schon. Ich …« Er unterbrach sich.
»Ja?«
»Nicht so wichtig.«
Nicht so wichtig? Batügül hatte ihre Zweifel. Dieser Kommissar nahm einen Mord nicht auf die leichte Schulter. Sie spürte, dass ihm etwas auf dem Herzen lag.
»Ich bin in eine Sackgasse geraten«, sagte er plötzlich. »Vielleicht könnt ihr mir heraushelfen. Wenn ihr wollt.«
»Worum geht es?« Koresh und sein Schwiegervater beugten sich interessiert vor, und auch Großvater Kumran ließ ein aufforderndes Grunzen hören.
Li Yandao berichtete von seinem Besuch in dem seltsamen Dorf und seinen Vermutungen über den Zusammenhang mit dem
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