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Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Titel: Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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einem der Dachpfeiler war eine magere Ziege angebunden. Li Yandao konnte gerade noch sehen, wie eine Frau in einen der dunklen Räume hinter der Terrasse hastete. Ein mageres Kind mit rotzverschmierter Nase stand verloren in der Mitte des Hofes und sah ihn aus großen Augen an. Li Yandao war entsetzt. Er hatte aufgrund seiner Arbeit viele uighurische Wohnstätten gesehen, und die Häuser waren immer peinlich sauber und liebevoll dekoriert gewesen, ganz gleich, ob es sich um arme oder reiche Familien handelte. Selbst die ärmliche Behausung von Aishas Familie in Yengisar war so behaglich eingerichtet, wie es die begrenzten Möglichkeiten zuließen.
    Der Hof der Siddiqs hingegen war verwahrlost.
    Der Mann ließ sich auf einem der Plastiksäcke nieder. Li Yandao setzte sich auf die Kante der Terrasse und lehnte sich gegen einen Holzpfeiler. Der gestampfte Lehmboden war eiskalt.
    »Sind Sie wegen Yakub hier? Wir haben dem anderen Polizisten alles erzählt«, sagte der Mann plötzlich. Li Yandao konnte die Bitterkeit spüren, mit der der Mann den Namen seines Sohnes nannte, er spuckte ihn regelrecht aus. Die Ähnlichkeit zwischen Siddiq und seinem Sohn war unübersehbar, auch wenn Yakub wesentlich kleiner gewesen war und nicht so grobschlächtig gewirkt hatte – zumindest nicht im Tod. Yakubs Vater war ein bulliger Mann mit einem großen, plumpen Gesicht. Ein gestutzter schwarzer Bart umrahmte fest zusammengepresste Lippen. Seine hellbraunen Augen waren groß, aber Li Yandao suchte vergeblich nach einem Funken Wärme. Der Mann machte einen gewalttätigen Eindruck, der von seiner schiefen Nase noch unterstützt wurde. Ein unangenehmer Zeitgenosse.
    Li Yandao entschloss sich, seine Fragen direkt zu stellen. Höflichkeit war in diesem Dorf offensichtlich nicht populär, und er sah keine Veranlassung, seine Zeit zu verschwenden.
    »Der Bericht meines Kollegen weist einige Lücken auf. Zum Beispiel wüsste ich gern, warum Sie so schlecht auf Yakub zu sprechen sind.«
    »Das geht Sie nichts an.«
    »Ich suche immerhin den Mörder Ihres Sohnes.«
    »Pah. Wenn Sie ihn bisher nicht gefunden haben, ist er sowieso über alle Berge. Wozu soll das Herumstochern in unserem Privatleben also gut sein?«
    »Antworten Sie.«
    Siddiq biss sich auf die Lippen und verschluckte einen Kommentar. Li Yandao konnte sich denken, was er sagen wollte: Scher dich zum Teufel. Genau das würde er nicht tun. Er wartete.
    »Yakub war ein schlechter Sohn«, sagte der Mann widerwillig. »Er hat uns angelogen, seit er sprechen konnte, war arbeitsscheu und respektlos. Mein Bruder und ich haben versucht, ihm das schlechte Benehmen mit Prügeln auszutreiben, aber er wurde immer bockiger. Bei seinen Geschwistern hat es wunderbar funktioniert.«
    »Wie viele Geschwister hat Yakub?«, fragte Li Yandao. Weidian hatte es ihm gesagt, aber er wollte es von Siddiq noch einmal hören.
    »Sechs. Er war der Zweitälteste.«
    »Sieben Kinder? Sie haben doch niemals die Erlaubnis für so viele Kinder erhalten.«
    »Ich schere mich nicht um eine Erlaubnis«, entgegnete der Mann. »Eine Familie ist dafür da, Kinder großzuziehen. Alles andere ist eine Sünde vor Gott.« Er warf einen hasserfüllten Blick auf Li Yandao. »Ihr Chinesen werdet in der Hölle die Rechnung für eure Familienpolitik bekommen.«
    Die weitere Befragung verlief zäh und unbefriedigend. Siddiq bestätigte Yakubs Einbruch im Laden seines Onkels und einige Schlägereien, aber als der Junge mit neunzehn nach einem Streit seine Sachen gepackt hatte, war der Kontakt abgebrochen. Erst vor anderthalb Jahren hatte er sich wieder gemeldet und seinen Vater um Geld angebettelt. Siddiq stellte Nachforschungen an und fand heraus, dass sein missratener Sohn in Yengisar eine Minderjährige geschwängert hatte. Er hatte ihm daraufhin das Geld verweigert. Yakub verschwand wieder aus dem Leben der Familie, bis er im letzten Sommer erneut unerwartet vor der Tür stand. Da Siddiq gerade dabei war, einen Teil der Außenmauer zu erneuern, erlaubte er Yakub unter der Bedingung zu bleiben, dass er bei den Bauarbeiten half.
    »Yakub war nicht nur faul, sondern völlig nutzlos. Nach zwei Wochen hat er sich aus dem Staub gemacht.«
    »Haben Sie danach noch von ihm gehört?«
    »Nein. Erst als die Polizei vor der Tür stand und uns mitteilte, dass er tot ist.«
    Die beiden Männer wechselten noch einige Sätze, und dann verabschiedete sich Li Yandao. Als er auf den Weg trat, fühlte er sich, als sei er aus einer dunklen Höhle

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