Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)
Freunde zu treffen und meine Tochter regelmäßig zu sehen. Aber sechs Jahre sind eine lange Zeit. Wen’ai hat mich längst vergessen.«
»Du solltest es trotzdem versuchen.«
»Es ist schon verrückt: Vor vier Wochen hat mich mein alter Mentor aus Xi’an angerufen und mir unter der Hand verraten, dass der für meine Versetzung nach Kashgar verantwortliche Mann wegen Korruption vor Gericht gestellt wird. Ich könnte zurück, aber dann müsste ich meine neue Heimat verlassen. Und meine neuen Freunde«, fügte er hinzu.
»Es ist keine einfache Entscheidung.«
»Nein, das ist es nicht. Ich werde mir Zeit lassen.« Er sah auf die Uhr. »Apropos Zeit. Es wird Zeit, dass ich mich auf den Weg mache. Wünsch mir Glück!«
* * *
Der Shanghai Saloon quälte sich die letzten Meter des niedrigen Berges hinauf, der Khotan von dem Ruinenfeld Melikawat trennte. Weil das Seitenfenster immer noch klemmte, wirbelten große Wolken von Staub und Sand ins Innere und schufen im Fußraum kleine Sanddünen. Als Li Yandao oben angelangt war, gönnte er sich und seinem klapprigen Fahrzeug eine Pause. Er stieg aus und sah auf die Landschaft vor ihm hinunter. An der linken Seite des Hügels schlängelte sich der Weiße-Jade-Fluss, der seinen Ursprung in den nahen Kunlun-Bergen hatte. Batügül hatte ihm gesagt, dass man die schneebedeckten Gipfel der Berge nach einem Regenguss sehen könne, aber es regnete hier leider nur vier oder fünf Mal im Jahr.
Zu beiden Seiten des Flusses breiteten sich Felder aus, die nach wenigen hundert Metern jäh in der Wüste endeten. Die alte Stadt Melikawat lag auf einem Hochplateau hinter einem winzigen Pappelwald am Fuß des Hügels. Dahinter erstreckte sich das gelbliche Grau des Sandes bis zu den desolaten Vorbergen des Kunlun. Irgendwo auf dem Plateau hielt sich Hakim Akhun auf. Li Yandao stieg wieder in den Wagen und rollte auf das Pappelwäldchen zu.
Erst als eine primitive Schranke ihn zum Halten zwang, bemerkte Li Yandao das winzige Kassenhäuschen. Er setzte den Wagen zurück und stieg aus. Sofort wurde er von Pferdekutschern umringt, die ihm eine Tour in das Ruinenfeld anboten. Schmuddelige Kinder drängten sich zwischen die Männer und boten ihm Buddhaanhänger aus falscher Jade an.
Der Kassierer hatte sich neben dem Häuschen einen Stuhl in die Sonne gestellt und das Getümmel um den Besucher gleichgültig verfolgt.
»Was wollen Sie?«, fragte er, als Li Yandao endlich die Kutscher abgeschüttelt hatte und auf das Häuschen zukam.
»Eine Eintrittskarte.«
Der Mann sah sich suchend um. »Wo ist Ihre Reisegruppe?«, fragte er.
»Ich habe weder eine Gruppe noch einen Reiseleiter. Man hat mir gesagt, dass es Führungen durch die Ruinen gibt.«
Der Mann ging wortlos in sein Häuschen, wo er umständlich ein Ticket stempelte und die Nummer in ein Buch notierte.
Dann händigte er Li Yandao die Eintrittskarte aus. »Sie wollen wirklich keine Kutsche?«, fragte er.
»Brauche ich eine?«
»Nicht unbedingt. Fahren Sie einfach mit dem Auto geradeaus weiter. Die Ruinen sind nicht zu verfehlen.«
»Und der Führer?«
»Brauchen Sie auch nicht.«
»Ich hätte aber gerne einen. Es wäre mir lieber, wenn mir jemand die Stadt erklären könnte.«
»Wie Sie wollen.«
Der Mann führte zwei kurze Telefonate. »Warten Sie«, sagte er, nachdem er den Hörer aufgelegt hatte. »Herr Akhun wird in einer Viertelstunde hier sein.«
Glück gehabt, dachte Yandao und setzte sich auf den Stuhl in der Sonne, sehr zum Ärger des Kassierers, der sich missmutig gegen sein Häuschen lehnte und mit einem Holzspan seine Zähne säuberte.
Zwanzig ruhige Minuten vergingen. Hin und wieder wurde die Stille vom Schnauben eines Pferdes unterbrochen. Die Kutscher hatten sich ein gutes Stück entfernt und dösten auf ihren Holzwagen. Die Kinder waren spurlos verschwunden. Die wärmende Sonne machte Li Yandao träge. Er hätte stundenlang auf diesem Stuhl sitzen bleiben können.
Ein Schatten fiel auf ihn, und Yandao blinzelte. Ein Mann hatte sich vor die Sonne gestellt.
»Ich wünsche Ihnen einen guten Tag. Ich bin Hakim Akhun, Ihr Führer«, stelle der Mann sich in perfektem, umständlichem Chinesisch vor.
Li Yandao war mit einem Schlag hellwach.
»Zhang Xuren.« Es war der erste Name, der ihm durch den Kopf schoss. Xuren, der Mann mit einer Mission. Er hatte sich schon bessere Decknamen einfallen lassen.
Akhun zeigte auf Li Yandaos Wagen. »Wenn das Ihr Auto ist, schlage ich vor, dass wir eine Pferdekutsche nehmen.
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