Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)
seine Kinder waren vor langer Zeit gestorben. Er war viel älter, als ich es jetzt bin. Und dann wurde er selbst krank.« Der Alte hob den Becher. »Das ist gut. Hast du noch einen Schluck?«
Zheng goss ihm nach. »Besaß er keine Medizin, mit der er sich kurieren konnte?«
»Nein, ihm war nicht zu helfen. Sein ganzer Körper überzog sich mit Beulen, und wir hörten ihn Tag und Nacht jammern und stöhnen. Nach einem Mond war er tot, und seitdem geht sein hungriger Geist um, weil er keine Angehörigen hat, die sich um die Riten kümmern. Die Krankheit brach aus, kurz nachdem das merkwürdig aussehende Xiongnu-Mädchen ihn besucht hatte. Sie hat ihn verflucht.«
»Ein Xiongnu-Mädchen? Wer war sie?«
»Niemand weiß es. Sie stammte nicht aus Yar-Khoto und ritt noch am selben Tag davon.« Er stand ächzend auf und humpelte auf sein Haus zu. »Wir könnten hier wieder einen Arzt gebrauchen. Meine Gelenke schmerzen jeden Tag mehr«, murmelte er. Dann drehte er sich noch einmal zu Zheng um. »Wenn du möchtest, kannst du bei uns schlafen. Es ist nicht viel Platz, aber unsere Gesellschaft ist besser als der Geist.«
»Vielen Dank, Großvater, aber ich werde mit dem Gespenst sicher fertig.«
»Du wirst schon sehen«, brummte der Alte und verschwand in der niedrigen Türöffnung.
* * *
»Puh, was für ein Gestank!«, sagte Bing Tong naserümpfend. »Bist du sicher, dass dieses Haus die richtige Wahl war?«
»Goldrichtig. Aber ich werde trotzdem nicht allzu lange hierbleiben. Hast du deine Pinsel und die Tusche mitgebracht?«
»Ja. Du wirkst sehr geheimnisvoll. Worum geht es?«
»Das wirst du gleich merken«, sagte Zheng und breitete eifrig einen dicken Filzteppich für seinen Freund auf dem Boden aus. Bing Tong ließ sich mit untergeschlagenen Beinen nieder, legte seinen Pinsel und einige Holztafeln bereit und begann, seine Tusche anzumischen. Nach kurzer Zeit hatte er seine Vorbereitungen beendet und wandte sich erwartungsvoll an Zheng, der wie gehetzt im Zimmer herumlief und seine wenigen Habseligkeiten von einer Ecke in die andere schob.
»An wen willst du den Brief senden?«
»Schreib: ›An den ehrenwerten Sun Luo, Züchter und Händler feiner Pferde und …‹«
»Sun Luo? Aus Wuwei?«
»Genau der.«
»Was hast du mit dem Mann zu schaffen? Er nimmt arme Schlucker wie uns gar nicht wahr.«
»Das wird sich zeigen. Schreibe ihm, dass der ergebene Yong Zheng, aufstrebender Händler in Seide und anderen Gütern, seine Tochter Sun Meng zur Frau nehmen möchte. Als Zeichen meiner Ehrerbietung sende ich ihm feinste Felle und exotische Dinge aus den Ländern des fernen Westens und Nordens im Wert von drei Silberbarren. Ich weiß nicht, wie man es richtig ausdrückt, aber dir werden sicher die passenden Worte einfallen.«
Bing Tong hatte den Pinsel sinken lassen.
»Silberbarren? Sun Luos Tochter? Was ist in dich gefahren? Hast du einen Schatz gefunden?«
Statt einer Antwort legte Zheng feierlich eine goldene Gürtelschnalle auf den Tuschestein seines Freundes. In die Schnalle waren zwei Kamele mit prächtigen Mähnen gearbeitet, die rechts und links von einem Baum standen. »Für dich«, sagte er strahlend.
»Für mich? Das ist ein viel zu kostbares Geschenk, Zheng.«
»Dann sieh es als Bezahlung an. Ich möchte, dass du mir beibringst, ein so erfolgreicher Händler zu werden, wie du es bist. Ich habe tatsächlich einen Schatz gefunden. Der alte Arzt, der vor fünfzig oder sechzig Wintern in diesem Haus gelebt hat, war reich. Sehr reich. Er hatte Schmuck und Geld in seinen Töpfen versteckt, und dieses Geld soll die Grundlage meines eigenen Geschäftes werden.« Mit diesen Worten schüttete Zheng den Inhalt eines großen Beutels vor Bing Tong auf den Teppich.
»Die Götter müssen dich lieben«, flüsterte Bing Tong ehrfürchtig, während er seine Hände über die Glasperlenketten, Ringe, Silberbarren und Käschmünzen gleiten ließ. Er nahm ein kleines Lackkästchen mit einem verschlungenen Muster auf und öffnete es. »Was ist das?«
»Ich weiß es nicht, aber es ist sehr hübsch. Ich denke, ich werde es behalten. Das Pferd darin ist kaputt und würde ohnehin nicht viel Geld bringen.«
Bing Tong strich behutsam über die polierte Oberfläche der kleinen Pferdefigur und entzifferte die goldenen Schriftzeichen auf dem Körper.
»Es könnte ein kaiserliches Siegel sein, viele hundert Jahre alt.«
»Oh. Muss ich es dem Gouverneur übergeben?«
»Ich denke nicht. Aber was hältst du davon, wenn du es
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