Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)
ließ die Beine über den Rand der Schlucht baumeln und dachte an Sun Meng. Nur ein einziges Mal hatte er sie auf dem Markt im fernen Wuwei gesehen, umgeben von ihren Dienerinnen, doch seitdem beherrschte sie seine Träume. Er seufzte. Bis er genug Geld beisammenhatte, um ihren Eltern gegenübertreten zu können, würde Sun Meng längst mit einem anderen verheiratet sein. Die schöne Tochter des reichsten Pferdezüchters von Wuwei würde niemals seine Frau werden. Sie wusste nicht einmal, dass es ihn gab.
Die Strahlen der untergehenden Sonne ließen einen Gegenstand aufglänzen. Er hing in einem Strauch, der sich vier oder fünf Meter unter ihm an einen schmalen Vorsprung klammerte. Kurzentschlossen schob sich Zheng über die Klippe und ließ sich zu dem Busch hinunter. Risse in der Wand der Schlucht gaben ihm Halt, bis er den Vorsprung erreichte, der mit den Scherben eines der alten Medizintöpfe bedeckt war. Ein goldener Armreif hatte sich in den Zweigen des Busches verfangen.
Er lachte auf. Wovor auch immer sich die Nachbarn fürchteten, ihm brachte das Haus Glück. Der Armreif musste zwischen den verdorbenen Kräutern gelegen haben. Er war schwer und würde ihm viel Geld einbringen. Ein Gedanke zuckte durch Zhengs Kopf: Bestimmt hatte der Arzt noch mehr Schmuck oder sogar Gold in seinen Töpfen versteckt! Mit den Füßen schob er die Tonscherben beiseite und entdeckte tatsächlich mehrere Dutzend Käschmünzen, zwei Silberbarren und einige Schmuckstücke zwischen den Überresten der uralten Medizin. Der Arzt hatte sein Versteck gut gewählt, dachte Zheng, während er eine getrocknete Fledermaus anhob, die unter seinen Fingern zu Staub zerfiel. Niemand hätte es gewagt, seine Hände in dieses Gefäß zu stecken.
Die Sonne war inzwischen untergegangen, und er brach seine Suche ab. Beim ersten Licht des Morgens wollte er wiederkommen und den gesamten Abhang und den Boden der Schlucht absuchen. Zheng verknotete seine Tunika so, dass sie einen Beutel formte, und verstaute seinen Fund darin. Als er sich an den Aufstieg machte, stieß sein Fuß gegen ein kleines Kästchen. Er hob es auf und stopfte es zu den anderen Sachen.
Ein vom Alter gebeugter Mann sah auf Zheng hinunter, als er über den Klippenrand kletterte.
»Guten Abend, Großvater«, grüßte Zheng und stemmte sich hoch.
»Du hast die Zaubertöpfe des Medizinmannes gestört«, zeterte der Alte. »Hüte dich!«
»Alterchen, der Mann kann mir nichts mehr tun«, entgegnete Zheng mit schlecht verhohlenem Ärger. Wenn es so weiterging, würde nicht der Geist ihn vertreiben, sondern seine Nachbarn. »Er ist lange tot, viel länger, als die Erinnerung zurückreicht.«
»Ha! Ich war dabei, als sie ihn begraben haben.«
»Ihr kanntet ihn?«, fragte Zheng mit erwachendem Interesse. »Könnt Ihr mir mehr über ihn erzählen? Kommt mit, ich will Euch einen Trunk anbieten.«
»Ich betrete dieses Haus nicht. Niemand geht dort hinein.«
»Ich schon«, sagte Zheng trocken. »Wollt Ihr warten? Ich bringe einen Becher heraus. Es ist Wein aus Trauben«, fügte er hinzu, um den Alten zu locken.
Es wirkte. »Ich warte«, sagte der Mann, besänftigt von der Aussicht auf einen Becher Wein.
Zheng brachte nicht nur den Wein, sondern auch eine Decke, die er dem Alten fürsorglich um die Schultern legte. Sie setzten sich auf einen Stein vor seinem Haus und tranken schweigend, während sich am Himmel die ersten Sterne zeigten. Irgendwo hustete eine Frau. Ein Kleinkind greinte. Aus weiter Ferne wurde das gurgelnde Blöken eines Kamels herübergetragen.
»Du bist ein tapferer Mann«, sagte der Alte nach längerem Schweigen. »Ich habe dich oft unten bei der Kaserne gesehen. Man erzählt sich, du hättest eigenhändig einen Reitertrupp der Xiongnu besiegt.«
»Glaub nicht alles, was die Leute reden.«
Sie versanken wieder in Schweigen, bis Zheng ungeduldig wurde.
»Du hast also mit dem Arzt gesprochen?«, fragte er.
»Natürlich, meine Familie lebte nebenan.«
»Wie war er? Und warum fürchtest du dich davor, sein Haus zu betreten?«
»Ich war dreizehn oder vierzehn, als er starb. Meine Mutter hatte manchmal ein Mittel von ihm gekauft, wenn sie Krämpfe bekam. Es war eine gute Medizin, und die Leute respektierten den Mann. Wenn er nicht in die Häuser der Reichen gerufen wurde, hockte er in seinem düsteren Zimmer voller seltsamer Dinge. Ich habe immer noch den ekligen Geruch in der Nase, er kam wohl von den vielen toten Tieren. Der Mann lebte allein, seine Frau und
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