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Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Titel: Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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sie schon dabei war, eine Wunschliste aufzustellen – ein sauberes Klo.
    Trotz ihrer Erschöpfung konnte Marion lange nicht wieder einschlafen. Sie lauschte den anderen Fahrgästen, die sich räusperten, herumwälzten, furzten, schnarchten. Ein verschwommener Gedanke spukte in ihrem Kopf herum, ohne dass sie ihn greifen konnte. Er hatte mit Li Yandao und den Ereignissen des vorigen Tages zu tun. Sie war beunruhigt, wusste aber nicht, warum. Ob ihr Plan doch einen Fehler hatte? Sie konnte ihn nicht finden, sosehr sie sich auch das Hirn zermarterte. Es hatte funktioniert. Alles war in Ordnung. Schließlich lullte das gleichmäßige Rattern des Zuges, der sie durch die Wüstennacht in grünere, freundlichere Provinzen trug, sie erneut in einen leichten Schlummer.

    Das Licht der Morgendämmerung sickerte bleich durch die Fenster des Abteils. Marion fühlte sich entsetzlich schlecht, ihr Rachen war entzündet, und sie hatte Kopfschmerzen. Aus Erfahrung wusste sie, dass sie die nächsten Tage handlungsunfähig mit laufender Nase im Bett liegen würde, und die Aussicht, weitere zwölf Stunden in diesem Zug verbringen zu müssen, ließ ihre Laune auf den Nullpunkt sinken.
    Der Zug hatte die Wüste immer noch nicht verlassen, aber im Westen erhoben sich die schneebedeckten Berggipfel des Qilian-Gebirges, der natürlichen Barriere zwischen dem tibetischen Plateau und dem Hexi-Korridor. Mit verlangsamtem Tempo fuhr der Zug gerade durch eine Bresche in einer bröckelnden Lehmmauer, die in nord-südlicher Richtung die flache Steinwüste zerschnitt. Marion beugte sich vor, um den westlichsten Teil der Großen Chinesischen Mauer besser sehen zu können. Eine gewaltige mittelalterliche Festungsanlage erhob sich über die Ebene: Jiayuguan, der »Unbezwingbare Pass unter dem Himmel«.
    Marion breitete eine Landkarte von China auf dem von Essensresten übersäten Tisch aus. Sofort beugten sich fünf Köpfe fasziniert darüber. Sie tippte auf eine Stadt namens Zhangye, die sie in ungefähr einer Stunde erreichen würden.
    »Zhangye«, fragte sie in die Runde. »Schön? Piaoliang? «
    Die Studenten nickten enthusiastisch. »Piaoliang, piaoliang. Dafo si!«
    Dafo si. Offensichtlich gab es dort einen Großen Buddha zu besichtigen. Warum also nicht? Es ging ihr von Stunde zu Stunde schlechter, und sie beschloss, ihre Reise in Zhangye zu unterbrechen. Auf ein paar Tage kam es nicht an.
    * * *
    Zhangye war eine für chinesische Maßstäbe kleine Stadt, und Marion musste nicht lange suchen, bis sie ein Hotel gefunden hatte. Das Etablissement sah nach ihrer Preislage aus, und mit etwas Glück würde es ihr gelingen, unter falschem Namen einzuchecken. Sie betrat die düstere kleine Lobby.
    »Haben Sie ein freies Zimmer?«, fragte sie auf Englisch.
    Das junge Mädchen hinter dem Rezeptionstresen lächelte hilflos, und Marion ging zu Körpersprache über, bis das Mädchen verstand und die Registrierformulare aus der Schublade zog. Marion zeigte mit ihrem Kugelschreiber erst auf ihren Pass, dann auf das Formular. Das Mädchen gab ihr erleichtert die Papiere und sah aufmerksam zu, wie Marion das Formular ausfüllte. Als sie fertig war, steckte sie den Pass wieder in ihren Bauchbeutel und schob diesen unter ihren Hosenbund. Wenn das Mädchen den Pass noch einmal sehen wollte, würde sie so tun, als ob sie nichts verstand, aber ihre Befürchtungen waren unbegründet: Die Rezeptionistin verstaute das Formular in der Schublade und rief den Pagen.

    Marion alias Sylvia Müller ließ sich ein heißes Bad ein. Das Hotel hatte seine besten Zeiten zwar hinter sich, aber die Warmwasserversorgung funktionierte. Nach dem Bad kroch Marion ins Bett, und obwohl es erst Mittag war, schlief sie sofort ein.
    An diesem Wochenende verließ sie ihr Zimmer nur, um in einem der Restaurants in der Nähe etwas zu essen. Am Samstag hatte sie sich in eine Apotheke geschleppt und nach Schnupfenmitteln gefragt. Der Apotheker hatte kurz ihre rote Nase taxiert und dann eine Kollektion bunter Schachteln mit chinesischer Beschriftung vor ihr aufgebaut. Marion kaufte alles und schluckte morgens und abends wahllos eine Handvoll Pillen. Sie halfen genauso wenig wie westliche Medikamente.

    »Yi – er – san – si, yi – er – san – si, YI – ER – SAN – SI!«
    Ein scheppernder Lautsprecher riss Marion aus ihren Träumen. Eins – zwei – drei – vier. Sie zog sich die Bettdecke über den Kopf, aber es nutzte nichts. Die verzerrte Frauenstimme war

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