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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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trübe, mit Inbrunst den Blick auf jenen nackten Männerkörper hefteten, den sie Christus nannten, und dessen Anblick sie mit Schauern unverstandener Wollust füllte. Dann wieder tat ihr die sanfte Stimme des Geistlichen wohl, der Chorgesang, die grobe, gesunde Beschränktheit der älteren Nonnen, ihre derbe Art zu scherzen. Und wie sie jetzt hier an ihrem tief in die Wand hineingeschnittenen Fensterchen stand, ergriff sie eine feige Angst, das Leben könne wieder nach ihr langen und sie fordern. In dieser Angst ging selbst der Wunsch eines Wiedersehens mit Heinrich unter.
    Sie hatte ein paar Karten von ihm erhalten, in denen er sich über ihr Stillschweigen beklagte und ihr voll Stolz und Siegerfreude schrieb. Die las sie immer wieder. Und las sich daraus geflissentlich den Trost, sie werde ihn nicht unglücklich machen durch die Trennung. Vielmehr sei das Zusammenleben zwischen zwei Menschen mit so ganz verschiedener Vaterlandsempfindung erst das eigentliche Unglück geworden.
    Das alles half ihr, ihn aus sich hinauszuschieben, sich einzubilden, sie vergesse ihn. Wenn sie jetzt an eine mündliche Aussprache mit Heinrich dachte, erstarrte sie vor Furcht und dann wieder vor Verlangen. Oft schien ihr das als etwas, das nicht mehr sein dürfe, als ein frivoles Halbsein, das sie schände. Sie hatte sich von Pierre »die Mauer« erbeten, sie durfte nicht klagen, wenn die sich nun undurchdringlich zeigte, auch für sie selber. Und sie beklagte sich auch nicht. Sie empfand keine Reue. Der Schritt, den sie getan hatte, in einem Instinkt derVerzweiflung, hatte ihr die Ruhe gebracht. Eine wunde, scheue Ruhe freilich. Denn noch immer lag die Liebe zu Heinrich schwer und tief in ihrem Herzen und versperrte den Platz für jeden andern. Aber sie lag da wie ein Sarg in stiller Totenkammer, den man mit allen seinen Blumen schmückt.
    Auch die Ihrigen waren ihr innerlich fremder geworden. Jeder Brief, den sie von ihnen bekam, sprach wie aus weit entfernten Vergangenheiten.
    So hatte Virginie ihr aus Gérardmer geschrieben: Hortense hatte ihr Kind geboren, aber es war nicht der Sohn, auf den sie gehofft hatte, sondern ein Mädchen, das wenige Tage nach der Geburt starb. Hortense sei verzweifelt, und auch an Armand hatte sie eine Enttäuschung erlebt. Statt weiter zu kämpfen, war er nach Gérardmer gekommen und verblieb dort müßig. Hortense verachtete ihn deshalb. Martin Balde war rasch aus seiner Gefangenschaft entlassen und hatte sich wieder nach Thurwiller begeben. Er lebte dort im alten Hause. Vorerst als Zuschauer der Begebenheiten. Seine Verpflegung hatte wieder das Salmele übernommen, das bei Hortense durch eine französische Bonne ersetzt wurde.
    Eine Nachschrift von Hortense war noch da, ein paar Worte nur. »Wenn Du einen Sohn bekommst, gib ihn mir. Ich werde ihn hier in Frankreich für uns erziehen.«
    Françoise stieg das Blut ins Gesicht. Sie lehnte sich an die Fensterscheibe, ihre Wange zu kühlen.
    In diesem Augenblick sieht sie weithin draußen vor sich auf der großen Straße irgendeine Veränderung. Sie weiß noch nicht recht, was es ist, aber der Boden des Gehölzes wird dunkler, jetzt blitzen leuchtende Punkte auf, Säbel, Helme, jetzt erreicht es die Straße, jetzt zeigt es sich: deutsche Soldaten, die Verwundete herbeibringen. Sie kommen gerade auf das Kloster zu. Da rafft sie sich zusammen und geht ihnen entgegen.
     
    Das Kloster von Sainte Anne hatte ein verändertes Gesicht bekommen. Männer waren da eingezogen, verwundete zwar, denn nur solche erlaubte die Klosterregel, aber eben dochMänner. Bald genug waren Oberin und Nonnen aus ihrem Klosterversteck herausgekommen, halb dem Befehl gehorchend, halb ihrem eigenen Pflichtgefühl, das sie zu den Hilfsbedürftigen rief. Nun gingen unwillkürlich alle Schwestern bedeutsamer umher, und die zarte Frau Mutter hatte zwischen den groben Falten ihrer Kutte etwas Entschlossenes, fast Burschikoses bekommen, das ihr entzückend stand, wie Françoise ihr scherzend sagte.
    Die selber bewegte sich unablässig in den Krankensälen. Man hatte ihr ohne viel Worte die Führung überlassen. »Madame est d'un courage hardi et sûr.« Das Refektorium war voll Betten gestellt worden, ebenso Nähsaal und Sprechstube. Es lagen da Franzosen und Deutsche. Und die Schwestern gingen lautlos zwischen ihnen hindurch, mit weichen Bewegungen und wehenden Gewändern, und linderten. Zuerst freilich hatten sie sich jämmerlich gefürchtet vor den Eindringlingen. Und als die ersten

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