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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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zerstören, was sich ihnen widersetzt. Sie würden in die Kirche dringen, in die Klostersäle und in die Zellen. Ja, in die Zellen. Wußte man denn nicht, wie die Soldaten es machten, wie es Bazaines Kürassiere gemacht hatten im Marienkloster bei Reims? Die Kapellen waren geleert gewesen nach ihrem Abzüge und die Leiber der Nonnen gefüllt, o ja!
    Es lag eine gewisse Befriedigung in der Art, mit der sie die derbe Klostersprache benutzte. So als wolle sie damit, ebenso wie mit der groben Kutte, ihre eigene Zartheit bedecken.
    Den Nonnengesichtern ringsum stieg eine Welle neugierigen Abscheus in die wohlgenährten, doch entbehrungsbleichen Wangen.
    Die Frau Mutter hob wieder die Arme. »Die heiligen Bilder! Wir müssen die Bilder vor ihnen retten.«
    Es kam Bewegung in den Knäuel. Man lief in die Kirche, in die Kapellen, in das Refektorium, Vor allem rettete man die Schutzheilige Sainte Anne, die in mehreren gemalten und gehauenen Exemplaren in Altarnischen stand, an Pfeilern hing. Und dann »Madame«, die Madonna. Man hob sie von ihrem Piedestal im Klosterhofe, der starke, löwenmähnige Knecht mußte helfen. Man schleppte sie zum Keller hinab und versuchte sogar die Grabplatten der toten Äbtissinnen zu heben, um ihnen in ihren gemalten Heiligen Gesellschaft zu geben. Auf den Treppen und in den langen Korridoren hallte das Schleppen und Schlürfen sonderbar wider.
    Françoise kam erstaunt aus ihrer Zelle in den Flur hinaus, als gerade Soeur Marie, eine Küchenschwester mit flacher Brust und entzündeten Augen, Sankt Christophorus – seine Füße nach oben – auf ihrem Rücken, die Treppe hinabging. Der gute Alte, selbst gewöhnt ein Tragender zu sein, schien stark verdrossen über diese Gewalttat und sah grimm von unten herauf nach dem gestärkten Schleier der Nonne, der ihn an den Knien kitzelte.
    Françoise trat völlig hinaus. »Was gibt es denn?« fragte sie, »warum räumt man aus?«
    Ein Dutzend Stimmen antwortete ihr. Die Oberin, die zierlich, mit gespanntem Gesichtchen am Geländer stand und zuschaute, trat jetzt naher.
    »Ah, Madame. Sie werden uns helfen in diesem Unglück. Madame ist Elsässerin. Sie verstehen Deutsch zu sprechen, nicht wahr? Sie werden diese Horden in ihrer eigenen Sprache anflehen, uns zu verschonen.«
    In Françoises Zelle eingetreten, redete sie eifrig auf sie ein. Das Kloster werde gutwillig ausliefern, was an Vortäten vorhanden sei. Sie würde sich mit den Nonnen in den Keller begeben. Françoise möge unterhandeln.
    Françoise stand vor ihr im Türrahmen. Ihre schlank gewordene Gestalt mit dem wanderhaft aufgeschürzten Rock, der Goldschein ihrer kurzen gelockten Haare um das junge Gesicht herum gaben ihr ein wenig das jünglingshafte Aussehen einer Jeanne d'Arc. Wie sie jetzt anfing zu trösten, mutig und sicher, und der Frau Mutter erklärte, die Deutschen seien nicht roh und grausam, schien ihre Art auf die verängstigte Frau durchaus überzeugend zu wirken. Sie entfernte sich gefaßter. Allmählich wurde es ruhiger im Hause. –
    Françoise war nicht ruhig. Sie blickte hinab auf die Straße, die sich, bald nackt, bald mit Gebüsch bekleidet und bald im Walde nur erratbar, von Toul nach Frouard zog und von dort nach Nancy.
    Nun war also auch Toul deutsches Revier wie Nancy! Auf dieser Straße würden vielleicht bald deutsche Truppen einherziehen, deutsche Sanitätswagen vielleicht, vielleicht Heinrich Hummel.
    Sie preßte beide Hände vor die Ohren, als wolle sie sich schützen vor den Vorwürfen, die sie umschwirrten. Der Brief, den sie in Thurwiller an Heinrich schrieb, war hierher ins Kloster an Françoise zurückgekommen. Sie hatte noch immer nicht den Mut gefunden, einen neuen zu schreiben. Sie vermochte es nicht. Die Kühnheit der ersten Tage war schwerer Dumpfheit gewichen. Von Tag zu Tag schob sie ihr Bekenntnis auf. Immer wieder ließ sie sich hineingleiten in denKlosterfrieden. Sie hatte sich hineingewühlt in diesen Frieden, wie man sich nach langem Wachen in sein Kissen wühlt. Aber zu viel Blut und Lärm war noch in ihren Sinnen, als daß sie traumlos hätte darin verdämmern können. In den Klostergängen, im geheimnisvollen Helldunkel der Kirche, den Blick auf das Kruzifix gerichtet, den Weihrauch und die Lieder der vor Gott hingeworfenen frommen Schar einatmend, verharrte sie oft lange wie betäubt, ohne sich hingeben und mitfließen lassen zu können. Kritisch betrachtete sie oft die Nonnen, die, in der niederen Kapelle kniend, die Augen von Entbehrungen

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