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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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so liebenswürdig. Er bekam die kostbarsten Konfitüren, in sein Omelett mischte sie am sorgfältigsten den Eiweißschnee. Françoise aber wurde seit seiner Ankunft von ihr gehaßt. Der hübsche kranke Franzose sah sie immer mit so verzückten Augen an. Dieser hübsche kranke Franzose war Jules Bourdon. Françoise hatte ihn gleich am ersten Tage entdeckt in seiner Bettreihe, wo er fiebernd, frierend vor Schmerz in einem fort rief: »I bin kapütt, i bin kapütt.« Sie trat zu ihm heran, ohne ihn zu erkennen, der mit geschorenem Kopfe dalag, eine Binde um die Stirn. Und auf einmal lachte er über das ganze, heiße, zuckende Gesicht. »Ah, la voilà.« Er schien sich nicht zu wundern, sie zu sehen. Er griff unruhig nach ihr. Françoise reichte ihm zwei stille, beruhigende Hände. Sie vermochte nicht zu sprechen, so hatte das Wiedersehenmit einem aus ihrer Stadt sie erschüttert. Als müsse plötzlich ihr Vater hereintreten, ihre Mutter, Heinrich.
    In diesem Augenblicke kam der Klosterarzt vorbei mit der Oberin. Sein fein gefaltetes Greisengesicht mit dem ewig ermunternden Lächeln wurde ernst, als er vor Jules' Bett trat.
    »Was ist mit dem Kind?« fragte die Oberin, die ihn begleitete.
    »Es ist im Himmel, Frau Mutter,« erwiderte der arme Bursche fromm, doch ein wenig schalkhaft auf Françoise blickend.
    »Habt Ihr Weh?« fragte Françoise, als der Arzt gegangen war und sie den Kranken weinen sah. Er schüttelte den Kopf, suchte ihre Hand zu erhaschen und zu küssen. Die Frau Mutter sah streng drein. Da faßte Jules, der Unverbesserliche, auch nach ihrer Hand, die sie lächelnd zurückzog. »Was wird aus der Klosterregel, meine Kinder?« sagte sie mahnend.
    Um Jules' Lager herum war es immer wie Festtag. Mit allen scherzte er trotz seiner Schmerzen, und alle scherzten mit ihm. Nur mit Françoise war er still, wie anbetend. Sie hatte ihm von des Vaters Wegführung erzählt, von Hortenses Übersiedlung. Füeßli erwähnte sie nicht. Jules glaubte, sie sei einfach als Pflegeschwester hierher gekommen. Daß sie ihn hob und wusch, wollte er nicht leiden. Zuletzt, da er immer kränker wurde, gewöhnte er sich daran, und sein » merci vielmol« klang tief ergeben. Er äußerte oft, die sanfte Ruhe der Schwestern ringsum mache ihn kränker. Abends quälte er dann so lange, bis die Nonnen vor ihm sangen. Wollten sie es nicht, so stöhnte er herzbrechend, bis sie ihm den Willen taten. Selbst die Küchenschwester, die einen brüchigen Männeralt hatte, sang aus dem Hintergrund verstohlen mit:
    »Virgo rspice, matger aspice, audi nos, o Maria!
Tu medicinam portas divinam.
Ora, ora pro nobis
    »Tua gaudia et suspiria juvent nos.
In te speramus, ad te clamamus,
Ora, ora pro nobis.«
    Und eines Abends wußte man, daß der lustige Elsässer sterben würde. Die Wunde war zu lange vernachlässigt gewesen. Der Stabsarzt hatte noch einige Knochensplitter und Tuchfetzen entfernen können, aber die Eiterung hörte nicht auf. Jules, als er nach der Operation erwachte, scherzte. »I han gar net denkt, daß so arg viel in mir drin steckt. A véritabel Schatzkäschtel bin i.« Abends dann verlangte er wieder, die Schwestern sollten ihm singen und dazu tanzen, »wie die jungen Maidele tanzen auf den Matten daheim«.
    »Tanzen!« Sie stoben entsetzt zusammen und auseinander. Er bestand darauf. Françoise nickte der Oberin zu. »Er wird sterben noch heute nacht.« Da stand sie auf, ließ ihre Nönnchen sich bei den Händen fassen und ordnete den Zug. Die Jüngste, ein rundes, frommäugiges Gesicht, sang leise dazu.
    Die andern stimmten ein. Sie gingen im Kreise. Weiche, fließende Wellen zogen sich ineinander, die Haubenschnäbel stießen zusammen. Der Kranke lachte. Plötzlich seufzte er tief. Erschreckt hielten die Nönnchen inne. Jules Bourdon griff in die Luft hinein nach Françoises Hand, dann streckte er sich aus, war tot.
    Alle knieten nieder. Einige weinten. Die Oberin aber stand zart, fast fremd am Bettende. Sie hob die schmale Hand. »Wen Gott uns sendet, der ist uns willkommen,« sagte sie, »wen er fortruft, so oder so, dem folgen unsere Gebete.«
    Und sie griff zum Rosenkranz.
    Françoise blickte ihr mit neidvollen Augen nach, wie sie in der Kirche verschwand.
     
    Der arme Jules war begraben worden. Im Erlenwäldchen, unweit des Nonnenkirchhofes, hatte man ihm ein Kruzifix auf seinen Hügel gesteckt. Françoise hatte ihm Blumen aufs Grab gepflanzt. Sie schrieb seinen Eltern, warm und töchterlich. Sie legte all ihr Heimatherz

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