Die Verborgene Schrift
hereingetragen wurden, pulvergeschwärzt, die Uniformen blutsteif, die Gesichter gelb und schmerzverzerrt, da hatte es der ganzen Strenge der Oberin bedurft, sie zum Dienste heranzuziehen. Nun aber ging alles in Frieden, und die Gesichter der Gefolterten glätteten sich, dankbar für diese Insel der Reinheit und der Harmonie inmitten des fürchterlichen Wütens und der Leiden des Kriegs.
Der Klosterarzt war ein freundlicher alter Franzose mit wenig Kenntnissen, gewöhnt an die gleichmäßig wiederkehrenden Leiden der Nonnen, in der Chirurgie zurückgeblieben. So ließ man Ärzte aus Nancy kommen. Wer gerade Zeit hatte. Von jetzt ab aber erwartete man den deutschen Stabsarzt, der dem dortigen Schloßlazarett vorstand. Françoise fragte nach seinem Namen. Man wußte ihn nicht. Nun lebte sie fieberhaft auf seine Ankunft hin. Als er dann wirklich kam, ein überbeschäftigter, abgemagerter Herr, an dem die Uniform herumhing, und der vor Nervosität zuckte, bekam sie mitten bei einer Operation, der sie beistand, einen neuen Ohnmachtsanfall. Seitdem verachtete der Arzt sie. Mit Aufbietung aller ihrer Kräfte fragte sie ihn einmal nach Hummel. Wirklich war erlange Zeit in Nancy gewesen und würde wahrscheinlich dorthin zurückkehren. Eben jetzt sei er mit einem Krankentransport tiefer ins Land hinein. Er wußte nicht wohin oder sagte es doch nicht.
Danach wurde Françoise ruhiger. Der Gedanke, Heinrich sei in der Nähe, hatte sie in den letzten Tagen tief zerstört. Mit neuer Kraft widmete sie sich dem Pflegen.
Der Krankensaal war überfüllt. Neben den großen kräftigen Deutschen sahen die zierlichen Franzosen aus wie die Miniaturen in den Brevieren der Klosterbibliothek. Nicht ganz so heilig freilich. Wenn man sie einbrachte, gefangen, enttäuscht, schienen sie von allem Mutwillen verlassen. Wenn man sie dann aber gewaschen und gebettet hatte und gepflegt, kamen sie wieder zu sich selbst, fingen an Witze zu machen, zu fluchen und zu trällern und schauten den Nönnchen mit lachenden Augen unter die Haube, daß sie sich abwenden mußten, um nicht zu lächeln.
In der Küche holten sie es dann nach. Dort war der Hauptversammlungsort der Nonnen. Den ganzen Tag wurden Umschläge gekocht, Mahlzeiten bereitet und dazwischen ausgiebig geplaudert.
Man unterhielt sich über die Deutschen. Diese großen, starken Kerle, über die man lachen mußte, weil sie ja gar keine Unholde und Menschenfresser waren, wie man immer gesagt hatte, sondern gutmütig wie Kinder. Einige unter ihnen waren sogar Katholiken. Die bevorzugte man ein wenig. Man schenkte ihnen Heiligenbildchen und Gebetbücher, und alle wollten immer Briefe schreiben. Immer Briefe. Sowie sich einer nur regen konnte, nahm er Papier und Bleistift und malte seine abenteuerlichen langen Buchstaben, manchmal mit der linken Hand. Konnte er nicht selbst schreiben, so diktierte er einem Kameraden. Und dann zogen sie Photographien aus den Brieftaschen. Häßliche Frauen mit ungeschickter Taille und dicken Bäuchen in lächerlichen Kleidern. Auf die starrten sie, redeten sie mit Namen an und lächelten. Und dann lesen sie. Alles was sie in die Hand bekommen. Viele von ihnenverstehen Französisch, die lesen auch die Zeitung, die zweimal die Woche ins Kloster kommt: »Le Phare«. Dann aber werden sie böse. Madame Füeßli, die Elsässerin, mußte den Nonnen übersetzen, was diese Männer dann so zornig hervorschrien. »Verdammte Lügen,« riefen sie. »Wir sollen Kinder morden, Frauen schänden? Wagen voll Pendulen mitschleppen? Wer kann solchen Unsinn glauben! Wenn jemand uns das von den Franzosen erzählen wollte, würden wir nur lachen!«
Und wie sie dann aussahen. Die erschreckend hellen Augen blitzten, die groben Riesenfäuste ballten sich.
Aber essen konnten sie. Nicht satt zu kriegen. Die Küchenschwester mit den entzündeten Augen und der flachen Brust rührte unwirsch in ihren Tiegeln. »Sie fressen wie der Mutter Ochsen zu Haus. Erst aber kommen meine Franzosen. Die preußischen Schweine können warten.«
Aber sie war die einzige, die diesen Unterschied machte. Und auch sie nur in Worten. Emsig bereitete sie ihre kühlenden Getränke, Gemüse, Eierspeisen und dicken Suppen, gleich gut für Freund und Feind. Und dann kam einer, der ihr Liebling wurde: ein hübscher, blonder Franzose aus dem Elsaß, der lachen konnte so herzlich wie kein anderer, und der mit der elsässischen Madame dieses komische Kauderwelsch redete, das man nicht verstehen konnte. Er war so hübsch,
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