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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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konnte die Entwaffnung vornehmen. Der Präfekt und der Maire sind aus Mülhausen geflohen, die Fabriken stehen still.«
    Victor Hugo stöhnte auf. Dann saß man lange schweigend beisammen. Hin und wieder ergriff Françoise Pierre Füeßlis Hand und streichelte sie in einer Dankbarkeit, von der ihr selber nicht bewußt wurde, wie verbrecherisch sie war.
    Der Abend war hereingebrochen. In der Küche nebenan wurde das kleine Souper gerichtet, das Pierre, der als Franzose gern gut, als Elsässer gern viel aß, angeordnet hatte. Als die Suppe hereinkam, klatschte Victor Hugo in die Hände. »Wir hatten so magere Kost, wir in unserem Lazarett,« sagte er entschuldigend. Aber auch die andern konnten sich nicht enthalten, wahrend der Mahlzeit wieder Behagen und Freude zu fühlen.
    Bald wurde es für Françoise Zeit aufzubrechen. Der Postwagen, der abends am Kloster vorbeifuhr, sollte sie mitnehmen. Später dann wollte sie mit Pierre in Nancy zusammentreffen, wo er eine sichere Unterkunft für sie suchen wollte. Vom Kloster aus hatte sie leicht Gelegenheit, dorthin zu fahren. Er selbst wollte dann nach Mülhausen zurückkehren, um Eigentum und Gewerbe zu ordnen. Müßte Françoises Rückkehr nach dem Elsaß sich noch länger verzögern, so würde sie nach Gérardmer zu Hortense gehen.
    Victor Hugo hörte diesen Verhandlungen teilnahmlos zu. Die freudige Erregung war wieder niedergesunken in ihm. Er sah wieder bleich aus und finster wie zuerst. Beim Abschied von Françoise weinte er ungebärdig. Sie mußte ihn noch einmal küssen und ihm versprechen, ihn zu lieben, so sehr sie konnte.
    Pierre brachte sie zum Postwagen. Sie trennten sich mit der Verabredung, sich in wenigen Tagen in Nancy imGrand-Hôtel zu treffen. Françoise wußte, daß demnächst Verwundete aus dem Kloster zu einer Operation nach Nancy geschafft werden sollten. Sie wollte sich dem Transport anschließen.
    Zwei Tage darauf war sie unterwegs dorthin. Zitternden Herzens. Sie hatte durch den Arzt erfahren, Heinrich befinde sich augenblicklich dort im Lazarett des Palais ducal. Sie würde ihn sehen, sprechen. Mehr wußte sie nicht. Im letzten Augenblick erkrankte die Oberschwester, die den Krankentransport behüten sollte. So fuhr Françoise denn allein mit dem Kutscher, als Schutz die weiße Fahne, in strömendem Regen davon. An Pierre hatte sie Botschaft gesandt, ihm aber nicht genau die Zeit ihrer Ankunft angeben können. Auch sagte sie ihm nichts von der ziemlich mühevollen Art, in der sie diese Fahrt machen würde, und die sich dann in Wahrheit noch viel beschwerlicher herausstellte, als sie gedacht hatte.
    Die Plane des strohgefüllten Leiterwagens war bald vollgesogen und tropfte. Die Fahne, am Kutschbock befestigt, schlug mit trostlos regelmäßigem Klatschen die Breitseiten; der Kutscher, Besitzer des Wagens, trank einen Kirsch nach dem andern und wurde nach jedem mürrischer. Françoise saß da wie eine Nonne, eingehüllt in dunkle, weite Gewänder, aus denen nur die hellen Falten ihrer Ärmelschürze klösterlich hervorschauten. Um den Kopf hatte sie einen dunklen Schleier geschlungen. Ihre Blicke hafteten auf dem jüngsten der Kranken, halb noch Knabe, der im Fieber zuckte und lautlos schwatzte. Françoise erhob sich vorsichtig, nahm ihm die Binde von der Stirn und hielt sie in den Regen hinaus. Als sie ihm das Tuch wieder umlegte, sah sie seine wunderschönen, sanften Augen wie in Verzückung auf ihr Gesicht gerichtet. »Angèle, o'est toi?« Der andere, ältere sah mit skeptischem, ungutem Lächeln auf die beiden. »N'est pas gai de crever comme ça.« Françoise schob sich mit ihrem Weidenkorb, auf dem sie saß, näher an ihn heran. Sie sprach ihm von dem geschickten Arzte, zu dem sie ihn führen werde, und der ihn am Leben erhalten würde. Ihre Stimme bekam den geheimnisvoll verheißenden Toneiner Märchenerzählerin dabei. Denn was sie redete, war nur ein Widerklang aller Hoffnung und Zuversicht, mit der sie selber diese Pilgerfahrt begonnen hatte, die ihr Lossprechung von aller Sünde bringen würde. Während sie jetzt im Eifer des Redens ihren Schleier weiter rückwärts schob, fiel eine gelockte Strähne ihres Haars wie ein Sonnenzeichen an ihrer schmalen, zarten Wange entlang. Der junge Kranke griff danach. Sie lächelte ihm zu und brachte sich wieder in Ordnung. Den älteren, der stöhnte, richtete sie auf. Er hielt sich nicht ohne Vergnügen an ihrem Arm. Sie tat, als bemerke sie es nicht, auch als er scherzend sagte: »O, welche Freude,

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