Die Verborgene Schrift
fort que moi .« Und er fuhr auf französisch fort: »Als ich ihn eintreten sah, da in den großen Herbergssaal, kräftig und schön, – ich war ganz verwirrt, mein Herz schlug zum Zerbrechen, und dann – ich habe ihn warnen müssen, man hört mich oder nicht.«
Françoise horchte auf. Eine rätselhafte Unruhe erfaßte sie. »Von wem sprechen Sie, Victor Hugo?«
Der junge Mensch antwortete nicht. Er sah sie mit glänzenden Augen an, lauernd, fast boshaft. Dann schloß er die Augen und stöhnte: »Ah, finir le plus vite cette partie odieuse, nomée la vie! Tuer ce cœur qui meurt pour le crime d'avoir trop aimé.«
Es lag ein Klang von seinem alten Bubenpathos in diesen Worten, der Françoise ein wenig beruhigte. »Werhat Sie verwundet?« fragte sie. »Waren Sie bei einer Schlacht?«
Er schüttelte den Kopf.
Nach einer Weile fing dann er an, klar und zusammenhängend zu erzählen. Und während er erzählte, löste sich sein Zustand in die alte Vertraulichkeit.
Victor Hugo hatte sich in Basel sehr unglücklich gefühlt. Er schämte sich seiner Untätigkeit dort. Eines Tages erhielt er durch die Post einen Brief, grobe Handschrift, unorthographisches Französisch. Von einem Legionär. Nur ein paar Worte, die ihn aufforderten, am nächsten Tage nach Sechs-Uhr-Läuten an der Sankt-Gallus-Pforte zu sein. Neugierig begab er sich dorthin. Nachdem er eine Weile da gewartet hatte, wollte er eben fortgehen, da sah er ihn, der schon eine Weile unter dem Portal der Barmherzigkeit lehnte und ihn beobachtet zu haben schien. Sein Strolch aus dem Thurwalde in jetzt leidlich anständiger Kleidung. Ohne weiteres begann er einen Plan auseinanderzusetzen! Er habe bereits mit einem Dutzend junger Leute, die er angeworben und an die Kampfstätten geführt, viel geleistet; nun setzte er seine Tätigkeit fort. Nach Basel sei er nur Victor Hugos wegen gekommen. Aus alter Dankbarkeit. Er hatte dabei auf das »Jüngste Gericht« gewiesen, das da über den »Werken der Barmherzigkeit« angebracht war, und auf das Glücksrad über der Tür. Das passe gut für ihre Vokation.
Victor Hugo hatte ihm trocken geantwortet, daß er es dem Curé in die Hand habe schwören müssen, sich nicht als Franctireur anwerben zu lassen. Er war froh über diesen Ausweg aus dem Gewirr von Lockung und Abwehr, das er wieder, genau wie damals im Walde, in sich spürte. Aber der ehemalige Strolch lachte, » Ah bah, c'est tout autre chose , wege dem können Ihr scho mitmache, mit d'r Compagnie des Franctireurs han mir nix z'schaffe. Mir han net so weiße Hose un bérets Narredings.«
Dieser Zusammenkunft folgten andere. Victor Hugo fand unter den Angeworbenen, mit denen der Legionär ihn ineinem Landwirtshause zusammenbrachte, auch zwei Baseler Bürgerssöhne vor, die gleich ihm »mittun« wollten. Schließlich waren sie wirklich miteinander davongereist, nach Frankreich hinein. Es war viel von einem geheimnisvollen großen Coup die Rede, den man machen und mit dem man dem Vaterlande dienen würde.
Vorerst lebten sie lärmend und großsprecherisch nicht schlecht in den Schänken halbverlassener Dörfer, die die Furcht geleert hatte. Victor Hugo und die beiden Baseler hielten zusammen, wurden auch nicht recht eingeweiht in das Treiben der andern, die manchmal verschwanden, dann schmutzig und lustig, oft mit zerrissenen Kleidern, manchmal mit sonderbaren Kratz- und Reißwunden zurückkehrten, viel tranken und dann tüchtig draufgehen ließen, auch wohl einander allerlei verdächtige Dinge zeigten; Uhren, Ringe, Geldbörsen. Zu spät erinnerten sich die beiden Bürgerssöhne dann der Gerüchte von unorganisierten Franctireurs, gefürchtet von denen, deren Feinde sie zu vernichten kamen. Leute, die raubten nach Gefallen, die wohl einmal zu einem patriotischen Streich zu haben waren, die aber weit mehr für die eigene Tasche und den eigenen Wunsch sorgten als für das Vaterland. Gerade aber als sie anfingen zu bereuen und an Flucht zu denken, wurde ihnen ein »ehrenvoller Auftrag« zuteil. Man hatte erfahren, der Großherzog von Mecklenburg und sein Stab habe sich nach der Eroberung von Toul nach einem Dörfchen dort in der Nähe in Quartier begeben. Dahin nun sollten die drei jungen Leute als die Ansehnlichsten der Gesellschaft gehen, sich für Kellner ausgeben und den Offizieren im Wirtshause aufwarten. Der Gastwirt war im Einverständnis. Die anderen Mitglieder des Trupps hatten sich im Dorfs versteckt, wo die Mannschaft untergebracht war. Der Großherzog und
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