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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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seine Begleitung würden im Gasthof wohnen. Abends beim Diner, wenn der Hahnenbraten aufgetragen war, sollte Victor Hugo mit einer Gardine zum Fenster hinaus das Zeichen geben. Alle würden ermordet werden.
    Freilich erfuhr man dann an Ort und Stelle, der Großherzog selber habe sich nach Châlons begeben, und nur sein Stellvertreter, der General von Bassewitz, sei anwesend. Aber der Plan war nun einmal gefaßt, das Vorhaben im Gange.
    Mit Herzklopfen trugen Victor Hugo und seine Gefährten die Speisen auf. Sie waren unter ihrem Kellnerfrack mit Pistolen und Messern versehen und fühlten sich als Helden. Das Diner hatte begonnen. Ein Platz am Tische war noch frei geblieben. Victor Hugo, der den General bediente, hörte ihn sagen, er erwarte noch seinen Neffen, einen Arzt aus dem Lazarett im Palais ducal in Nancy. Eben wurde der Hahn aufgetragen. Victor Hugo stand wie verabredet am Fenster. Da tritt ein großer Mann in Arztuniform ein, Heinrich Hummel. Der junge Mensch hat sich nicht mehr halten können, hat ihn bei Namen gerufen und ist auf ihn zugetreten. »Prenez garde,« hat er ihm zugeflüstert, »Ihr sin in G'fahr.« Sein Gefährte, der neben ihm steht, ein besserer Patriot als er, merkt den Verrat an der gemeinsamen Sache, nimmt in Wut sein Messer und sticht auf ihn ein. Aufregung, Tumult, der Plan ist gescheitert.
    Victor Hugo ist zum Fenster hinausgesprungen und davongelaufen. Unterwegs ist er dann halb verblutend in einem Gebüsch liegengeblieben. Als er aus langer Bewußtlosigkeit erwachte, fand er sich in Gefangenschaft bei den Mecklenburgern. Man brachte ihn ins Lazarett. Man würde ihn erschossen haben, wenn sich Hummel nicht für ihn bei seinem Onkel verwendet hätte. Erkannt hatte er bei der flüchtigen Begegnung Victor Hugo nicht, aber er legte für seinen Retter, der mit dieser Warnung den ganzen feindlichen Anschlag vernichtet hatte, ein gutes Wort ein. So sah man von einer Bestrafung ab und ließ es bei strenger Verwarnung bewenden. Als Pierre kam, gab man ihm den Burschen mit, damit er ihn in seine Heimat bringe.
    Françoise hatte zugehört, ohne sich zu regen. Sie konnte nicht denken. Hummels Name und Gestalt, hier in der Fremde vor ihr aufgetaucht, erschütterte ihr ganzes Wesen. MitDankbarkeit sah sie auf seinen Schutzengel da, der, sogleich ihr Gefühl nachspürend, sein Gesicht ein wenig zu dem ihren hob.
    »Ich hab' Euch Euren bien-aimé gerettet, Mademoiselle Balde, gebt mir meinen Lohn.« Und mit einem Rest seiner alten Anmut, die bei seiner Magerkeit und Blasse herzzerreißend wirkte, streckte er ihr die Arme entgegen.
    Françoise beugte sich zu ihm und küßte seine Knabenlippen. Er lächelte und legte sich zurück wie ein zufriedenes Kind.
    »Ah, sieh da,« sagte Pierre lachend, der eben eintrat, »auf diese Art, scheint mir, gestaltet sich Ihr Samariterdienst bei den Verwundeten ein wenig anstrengend, meine Liebe?«
    Sie reichte ihm nur lächelnd ihre Hand. »Victor Hugo hat mir erzählt.«
    Pierre antwortete nicht. Man sah jetzt, daß das Lächeln von eben nur flüchtig gewesen war, und daß sein Gesicht voll Leid stand.
    »Elsaß ist verloren,« sagte er kurz. Dann berichtete er weiter. »In Freiburg hat sich ein deutsches Armeekorps zusammengezogen. Man wirft überall Brücken über den Rhein. Während diese Truppen nach Belfort und Mülhausen gehen, wird sich ein anderes deutsches Detachement nach Kolmar ziehen, das Oberelsaß zu besetzen.«
    »Und Gambetta?« fragte Françoise. »Und Garibaldi, und die levée en masse , von der man in den Zeitungen spricht?«
    Pierre zuckte resigniert die Achseln. »Jedenfalls ist der Rückweg jetzt für Sie gefährlich, Françoise. Ich hatte gehofft, ja, ich hatte mir bestimmt vorgenommen, Ende der Woche mit Ihnen zurückzureisen,« er sah sie fest und, wie ihr schien, ein wenig herausfordernd an dabei, »nun aber halte ich es für das beste, Sie lieber nach Nancy zu bringen, wo unter preußischem Regiment wenigstens doch wieder Ordnung herrscht und Sicherheit; auch für uns.«
    »Nancy?« Ihr Gesicht überzog sich mit brennender Röte. Er nahm es für ein Zeichen des Bedauerns und drückte ihr die Hand.
    »In Mülhausen herrscht größte Unordnung,« fuhr er finster fort, »das vierundachtzigste französische Infanterieregiment, das zum Schütze der Stadt aus Belfort eingetroffen war, ging den eindringenden Badensern nicht etwa entgegen, o nein, es zog mit den Mobilgarden zusammen wieder ab. Das badische Militär fand keinen Widerstand und

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