Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
Vom Netzwerk:
anzubringen für ihre Armen. Man sprach von einer Trauung, der man beiwohnen wollte, von der Mitgift der Braut, der Karriere des Bräutigams.
    Mitten in ein graziöses Potpourri herein klang jetzt abscheuliche Blechmusik. Ein Zug kam heran, etwa dreißig Blondköpfe mit blau-weiß-roten Wedeln und Fähnchen. Alle französisch gekleidet mit Käppi, Gamaschen und runden Kragen, den »Revanchemänteln«. Ihnen voran ging ein Geistlicher. Sie kamen aus Kolmar und gehörten dem unter deutschem Schütze stehenden Katholischen Jünglingsverein an. Der Geistliche, ein Blasser mit fanatischen Augen, sah sich befriedigt um. »Nous voilà enfin en France,« sagte er. Die Knaben nickten gehorsam. Es waren Kinder von elf bis siebzehn Jahren, die, wenn sie sich unbeobachtet meinten, geläufig Deutsch miteinander redeten, »Ces jeune patriots« , nannte sie der Geistliche trotzdem. Einige Damen gingen ihm entgegen und begrüßten den Trupp mit Händeklatschen. Der Geistliche dankte. Dann breitete er vor ihnen in einer kleinen Rede seine Hoffnungen und Absichten aus für das Elsaß. Die französische Sprache müsse wieder als herrschende in den Volksschulen eingeführt werden, damit es für die Knaben leichter sei, in den vornehmen Familien des Elsaß ihr Brot zu finden, deren Kultur ja rein französisch sei. Die Mädchen könnten dann als Bonnen hinübergehen nach Frankreich. Sie seien beliebt dort, weil sie billiger und gewissenhafter wären als die Franzosen.
    Inzwischen waren Hortense und Françoise mit Armand wieder herangekommen. Sie hatten vergeblich nach einem freien Tisch gesucht.
    Armand schielte verlangend hinüber nach dem Gesellschaftshause. »Dort spielt man Roulette.« Paul erklärte sich bereit, mit ihm hineinzugehen, und Hortense redete Pierre zu, gleichfalls von der Partie zu sein. »Dugirard verspielt sonst am Ende Frau und Enkel,« sagte sie.
     
    Die Schwestern spazierten unterdes im kleinen Kurpark, dessen steife Anlagen, in denen bereits die Holzgerüste für das abendliche Feuerwerk standen, den kalten Eindruck einer Bühne bei Tageslicht machten und der alternden Hortense mit ihrerheftigen, an herbstliches Stürmen erinnernden patriotischen Erregung den nur allzu passenden Hintergrund gaben.
    »Nun, ist es schön, wieder im Vaterland zu sein?« fragte sie beständig. »Habt ihr wirklich immer noch nicht genug von der barschen Formlosigkeit bei euch da drüben? Ich begreife nicht, wie man leben kann in einer Luft mit ›ihnen‹. Ich könnte es nicht.«
    »Wir leben nicht mit ihnen,« sagte Françoise abweisend, »wir atmen unsere besondere Luft à nous .«
    Eine Pause entstand.
    Ein Kätzchen lief über den Weg. Françoise nahm es auf und streichelte an ihm herum. Es war, als wecke die Gegenwart der harten, strengen Schwester ein Bedürfnis nach Anmut und Hätscheln in ihr. Hortense, in irgendeinem dunkeln und bittern Bewußtsein dieses Vorganges, wurde rot. Es machte sie alt.
    »Nun, und wie findest du Paul?« fing sie endlich an. »Du hast ihn lange nicht gesehen.«
    »Sehr lange nicht.«
    »Ist er nicht reizend? Ein vollkommener Gentleman.«
    »Ja, ich glaube, das ist er.«
    »Aber nicht genug Patriot, nicht wahr? Das ist es, was du sagen willst.«
    Françoise fing plötzlich an zu weinen. »Ich wollte, ich hatte Paul niemals von mir gegeben. Er ist mir ganz fremd geworden, ganz unverständlich. Ich hätte ihn den Umgang seines Vaters genießen lassen sollen.«
    Hortense sah sie mißbilligend an. »In der Tat, du hast nicht viel Gleichmäßigkeit in deinen Ansichten, meine Liebe.«
    »Ich hätte ihn nicht fortgeben sollen,« wiederholte Françoise. »Nun ist er im Begriff ein Mensch zu werden ohne Heimat, ohne Charakter.«
    »Aber, Unglückliche! Er wäre heute Prussien, dein Sohn!«
    »Er wäre ein Elsässer. Wie sein Vater.«
    »Ah, du willst sagen, einer, der in Behaglichkeit lebt, quand-même .«
    » Quand-même! Und ich fange an zu glauben, es wäre meine Aufgabe gewesen, Liebe für die Heimat in Pauls Herz zu säen. Das hätte ihm einen Halt gegeben.«
    Hortense riß sich los vom Arme der Schwester. In maßlosem Zorn warf sie die Hände hoch wie eine Frau aus dem Volke. »Säe du Liebe,« rief sie heiser, »ich aber, ich will Haß säen, Haß, Haß!« Es klang wie Rabengekrächz.
    Françoise schauderte. Alles in ihr war wirr und wund. »Gehen wir hinein,« bat sie. Sie sehnte sich nach Pierre.
    Sie hatten sich auf ihrem Rundgang der Rückseite des Gesellschaftshauses genähert, das sich nun hell und

Weitere Kostenlose Bücher