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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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morgen mit ihm einen Ausflug nach Epinal hinüber machen. Madame Treumann, die einstige Virginie Schlotterbach, würde dort sein mit ihrer Tochter. »Sie hat gegen den Willen der Eltern geheiratet, einen Deutschen, der Postvorsteher ist in Thurwiller. Aber die Tochter ist reizend, noch ganz jung, kaum Sechzehn, sehr gut erzogen, mit herrlichem blondem Haar. Und ihr Vermögen von der Mutter, ich habe mich erkundigt, wird einmal beträchtlich sein. Man gibt ihr die Hälfte bereits bei der Verheiratung. Willst du?« fragte sie zuletzt.
    Paul lächelte. Er sah sich auf dem Lande in einem blühenden großen Garten stehen, neben ihm eine hübsche, junge, blonde Frau, die ihn liebte.
    »Nun wohl, machen wir morgen den Ausflug nach Epinal,« sagte er fröhlich.
    Françoise atmete tief auf. Sie hatte ihren Sohn wiedergewonnen.
    Ein bräutlicher Schimmer lag über ihrem Gesicht, als sie sich mit den andern im Eßsaal zu Tisch setzte.
    Pierre sah sie forschend an. Sie nickte ihm zu. Da schenkte er sich ein gutes Glas voll Wein, wurde vergnügt und ein wenig lärmend, so daß Hortense die schmalen Brauen in die Höhe zog. Aber Françoise sah voll stiller Zärtlichkeit zu ihm hinüber. Sie hörte aus seinem geräuschvollen Lachen heraus, wie sehr ihre Traurigkeit vorhin ihn bedrückt hatte. Wie undankbar war ich, dachte sie. Eine glückliche Frau, eine glückliche Mutter, und in einigen Jahren vielleicht werde ich ein Enkelkind in meinen Armen halten. Ihre schwarzen Augen träumten ins Ferne.
    Das Stubenmädchen kam herein und brachte ein Telegramm. Sie reichte es Armand, der es rasch aufriß und dann, weitsichtig, wie er war, nach seiner Brille schickte.
    »Lassen Sie sehen, von wem es ist!« fragte Hortense.
    Er wehrte wichtig und kokett ab. »O nein, man kann nie wissen. Ein Kavalier muß verschwiegen sein.« Er hielt das Blatt von ihr weg, so daß sie nur die Rückseite sah. Françoise, die neben ihm saß, blickte unwillkürlich hin und sah die Unterschrift: »Lucile«. Aha, von seiner Schwester, dachte sie. Uninteressiert wandte sie sich wieder dem Gespräch mit Paul und Hortense zu, die über die Schriftstellerin Marcelle Tynaire stritten. Es ging um das Buch »La maison du péché« , von dem Françoise fand, es sei ohne Tiefe und trotz aller Schilderung der Leidenschaft kühl. Paul, ohne den Roman gelesen zu haben, war voll Lob dafür. Die Verfasserin sei zur Akademie vorgeschlagen worden, ihres Geschlechtes wegen aber nicht angenommen.
    Hortense flammte auf. »Ah, also auch sie ein Opfer des Mangels an Revolutionsgeist bei unserer Generation.«
    Pierre verhielt sich schweigend. Er liebte die moderne französische Literatur nicht, hatte übrigens auch keine Zeit zum Lesen.
    Armand hatte inzwischen seine Brille bekommen. »O, es ist gar nicht an mich,« sagte er enttäuscht. »Und ich, der ich mir schon ausmalte –« Er reichte das Telegramm an Paul, ihm vertraulich lebemännisch mit der Hand hinüberwinkend.
    Paul war rasch aufgestanden und mit dem Telegramm ans Fenster getreten, obgleich es dort finsterer war als unter der Gasflamme. So, den übrigen den Rücken zudrehend, las er Luciles paar Worte: »Mon mari est parti, venez.«
    »Wie schade das ist,« sagte er, zum Tisch zurückkommend. »Ich muß heute nacht noch fort. Es handelt sich um einen Prozeß, der – – «
    Françoise hatte die Stirn gesenkt. Ihr Kopf dröhnte, als sei plötzlich ein ungeheurer widriger Lärm um sie herum entstanden. Sie schabte mit ihrem Löffelchen hin und her auf ihrem Teller, daß bald die lächelnden Köpfe des galanten Schäferpaares daraus hervorschauten, bald die Lämmchen. Unaufhörlich malte sie dieselben paar Buchstaben hin, die den Namen »Lucile« bildeten. Immer neu.
    Armand hatte inzwischen den indicateur herbeigeholt. Er war um Paul geschäftig, als könne so ein Teil von dessen gutem Glück auch auf ihn fallen. Er nickte ihm ein paarmal zu. Wir Männer, nicht wahr? Hortense war voll Eifer, packte Früchte ein und kleine Kuchen für unterwegs und wollte wissen, ob er Aussicht habe zu plädieren.
    Pierre hatte inzwischen ruhig seinen Wein ausgetrunken. »Und sie hat nicht Zeit bis übermorgen, diese Reise?« fragte er jetzt mit dröhnender Stimme. Er hatte Françoises verzweifeltes Gesicht bemerkt.
    Hortense fuhr herum. »Übermorgen? Was denken Sie? Wenn sein Beruf es doch von ihm fordert.« Und zu Françoise sagte sie: »Man darf nicht zu weich sein, meine Liebe.«
    Paul trat zu seiner Mutter heran und umarmte sie. »

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