Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
Vom Netzwerk:
schloßartig vor ihnen erhob. Aus den Fenstern klang unablässiges Rufen. Jetzt verstand man: »A vos jeux, messieurs, tous vainqueurs, tous vainqueurs.«
    »Armand wird gewiß schön viel verspielt haben,« sagte Hortense in gewöhnlichem Tone.
    Die beiden Frauen traten ein. Der große, dunkel tapezierte Raum schien ihnen, die von draußen kamen, fast dämmerig, etwas Schwimmendes, Wiegendes, Zwitscherndes umgab sie plötzlich, warmes Duften parfümierter Menschen, seidnes Knistern, ein angenehm erregendes Klirren von Geld, ein Reiben und Rollen, dazu, gleichsam als fester Rhythmus, wieder das eintönige: »A vos jeux, messieurs, tous vainqueurs, tous vainqueurs.«
    Eben jetzt als ironischer Schlußrefrain ein lauteres: »Rien ne va plus.«
    Die Schwestern traten naher. Man sah jetzt genau den großen Roulettetisch, um den sich die Menschen drängten, dunkle, eifrige Silhouetten, die gegen das Fenster standen. Andere, die das Licht traf, farbig und blitzend vor Eleganz. Die Damen nahmen seltsame und hübsche Stellungen ein, sich biegend, die Arme ausstreckend, sich mit eingezogenem Leib vorbeugend, so daß sie ihre Brust, ihre kleinen Hände zeigen konnten. Ihre Toiletten, in diesem Jahre mehr für Gehen und Stehen als fürs Sitzen erdacht, kamen zur Schau und entwickelten sich. Wechselten sie den Platz, so preßten sie den Kleiderrock,ihn mit voller Hand fassend, ein wenig an die Hüfte, ihm so mehr Kürze zum Ausschreiten gebend, den zierlichen Seidenschuh zu Gesicht gestellt. Zudem gab ihnen das Spiel, das hier nicht die verzehrenden, lebenvergiftenden Leidenschaften der gewerbsmäßigen Spielhöllen zeigte, sondern mehr als gesellschaftliches Vergnügen betrieben wurde, Gelegenheit, sich naiv beutelustig zu äußern und dabei einen Schimmer jener Brutalität zu zeigen, oft vielleicht auch nur zu erheucheln, der die Männer reizt, ihnen erotische Ideenverbindungen bringt.
    Die Männer selber gefielen sich meist in gelassener Haltung, zeigten sich überlegen, erfahren, als Führer und Ratgeber, gaben ihren Damen kleine Winke, kleine Tricks, redeten System.
    »Sind wir nicht töricht, uns mit patriotischen Fragen zu quälen?« sagte Hortense bitter. »Sieh diese hier! Kann man sich vorstellen, daß einer dieser Menschen weint, Sorgen hat, hungrig ist oder verzweifelt? Alle sind rosig, alle lächeln. Sie gehen, als könnten sie ebensogut fliegen, wenn sie wollten, alle Schwere scheint aufgehoben. Man kann sich einen Augenblick einbilden, man sei nur dazu da, sich schön anzuziehen und zu gefallen. Das tut gut.« Sie legte wie ermüdet die Hand an die Stirn.
    Françoise betrachtete sie mit scheuem Mitleid. In diesem Augenblick kam Paul heran und begrüßte sie. Er spiele nicht mehr, habe gewonnen, verloren und schließlich wieder seinen Einsatz zurückgewonnen. Nun schaue er zu. Auch Pierre beteiligte sich nicht mehr. Armand Dugirard setze für ihn weiter.
    Sie sahen die beiden. Pierre ruhig, nicht ganz interessiert, Armand mit gerötetem Gesicht. Paul führte seine beiden Damen zur Baronin Flèche, die neben dem Rollstuhl ihres Mannes stand, der eifrig mitspielte.
    Die drei standen eine ganze Weile da und beobachteten. Der erste Eindruck von Heiterkeit, den die Damen beim Eintreten gehabt hatten, verstärkte sich noch, als man die Gaskronleuchter anzündete. Die Stimmen brausten lauter auf, das Lachen wurde übermütiger. Das Geld klirrte heftiger.
    In diesem Augenblick flammte drüben ein aus farbigen Leuchtkugeln gebildetes, riesengroßes »R F« in der Luft, sich im kleinen See wiederholend. Zugleich begann das Orchester die ersten Takte der Marseillaise, heroisch, aufreizend. Aus dem Roulettesaal, wo eben eine Runde beendigt war, drängte man ins Freie. Man wollte die programmäßige Sensation genießen. Draußen hatten sich alle Gäste erhoben. Wie mit einem Schlage. Die Männer nahmen die Hüte ab. Und als jetzt der Tenorist an die Rampe trat, die bereit gehaltene Fahne schwenkend und mit sonorer, leicht vibrierender Stimme begann: »Allons, enfants de la patrie, le jour de gloire est arrivé,« da ging ein Rauschen und Brausen der Begeisterung durch das Publikum. Man sang mit, man jauchzte. Die eleganten Damen wurden auf Stühle gehoben, um besser das Schauspiel genießen zu können. Mit ihren fein behandschuhten Händen taktierten sie lachend über der singenden Menge. Zuletzt aber wurden auch sie von dem prachtvollen Rhythmus dieser Hymne mitgerissen, und zusammen mit den andern stimmten sie in die

Weitere Kostenlose Bücher