Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
Vom Netzwerk:
bekommen von Zeit zu Zeit. Das ist der Krieg.«
    Paul lachte herzlich. Er kannte diese Anfälle von Bubenalbernheit hinter dem Rücken der Tante. Dugirard aber ging umher, schwankend und gebläht wie ein berauschter Hahn und sang:
    »C'est moi, p'tit gos' de gosse,
qui avait voulu faire la noce.«
    Bedeutsam um sich blickend, wiederholte er den Refrain:
    »Reprends ton petit môm' de môme,
je suis dans mon royaume«.
    Françoise sah zu Boden. Ihr tat der Schwager leid, der den Narren machte, um sich nicht bedauern zu lassen. Sie hatte nicht gewußt, daß sein militärisches Mißgeschick ihm noch immer so schmerzhaft sei, und sie warf es in Gedanken Hortense vor, daß sie durch ihre Verachtung diese Wunde immer offen hielt.
    »Was ist das?« fragte Paul, der sich langweilte. Er nahm ein gelbes, bastartiges Büschel vom Wandnagel.
    »Das? O, das ist eine Marotte meines Melkers. Wir haben die schönsten neuesten Siebe, aber Monsieur Albert hier« – er machte eine Art vorstellende Handbewegung nach einem breiten, graubärtigen Manne hin, der in blauer Bluse am Milchkessel stand und die Temperatur maß – »Monsieur Albert läßt es sich nicht nehmen, die Milch durch solches Gewächs hindurchzuseihen. Siebenmoß nennen sie's bei ihm im Elsaß, nicht wahr, Albert?«
    Albert schob die Pfeife, die er kalt rauchte, im Mund zurecht. Er lächelte nur, aber in diesem Lächeln lag eine sonderbare Melancholie. Die müde Herablassung eines Erwachsenen, der Kinder spielen läßt. Es war ein vorgeschrittener Fünfzigermit blauen, seltsam harten Augen. Alles an ihm kräftig und fast nordisch zusammengeschlossen.
    Paul betrachtete ihn nachdenklich. Der Mann kam ihm bekannt vor. »Sind Sie nicht –« Er errötete plötzlich. Ihm war eingefallen, wen er vor sich hatte. Er hatte einmal in den Ferien einen Onkel Füeßli im Münstertal besucht, der dort eine Spinnerei besaß. Dort war viel davon die Rede. Der Förster sei unbeliebt, er sei Renegat. Das Wort, und wie der Onkel es aussprach, machte tiefen Eindruck auf den kleinen Paul. Ein andermal sah er den scheuen blonden Försterbuben, dem die Lehrerssöhne Steine nachwarfen. Dann einmal sah er den Förster selber, wie er stattlich mit Jagdtasche und Knüttel durch die Wälder ging. Und sah ihn ein paar Tage später vor der Schultüre stehen und auf sein kleines Mädchen warten. Als das Kind herauskam, feuerrot und verängstigt, nahm er es wortlos finster beim Händchen und zog es mit sich fort, viel zu schnell für das trippelnde und schnaufende kleine Ding. Blitzschnell fuhr Paul das alles durch die Phantasie.
    Der Melker war eine Weile anscheinend ruhig vor seinem Milchbottich geblieben. Langsam quollen ihm zwei Zickzacklinien auf an den Schläfen, blau in seinem Gesicht, das im Widerschein der Holzplanken totenhaft gelb erschien. Plötzlich drehte er sich mit einem Ruck um, machte ein paar Schritte und stellte sich breitbeinig, wie drohend vor Paul auf.
    »D'r Herr het racht, 's isch der Albert Schmelzle üs'm Münschtertal, d'r renégat, wo d' uniforme des eaux et forêts trage het un sich d'rno von de Prussiens als Förschter iewernemme het losse. 'm Herre isch's probablement zuwidder, daß i leb, un daß i gar widderum franzeesch worde bin? Hein? Daß i net kapütt gange bin an miner Schand? Jage mi doch widder üse vo do, stecke mi in d' prison .« Beide Hände vorgestreckt, fast schreiend stand er da, ganz außer sich.
    Armand Dugirard machte eine verlegene, beschwichtigende Bewegung. »Niemand denkt daran. Albert.« Ihm war der Auftritt peinlich unbequem. Gerade jetzt, da er einmal Zuhörer gefunden hatte.
    Pierre ergriff das Thermometer, das der Melker hatte in den Bottich gleiten lassen. »Wieviel Grad?« fragte er.
    »Achtzehn,« gab der Melker mechanisch zurück. Aber seine Stimme war heiser, er bebte.
    Paul gab dem Melker die Hand. »Ich habe Sie nicht ärgern wollen, Monsieur Schmelzle.«
    Aber der Wütende hielt ihn am Rock. »Nein, Ihr sollt mi Sach höre, mon cas .« Er senkte einen Augenblick den Kopf wie um nachzudenken. »D' Prussiens sin kumme,« sagte er dann, »si han mi g'frogt, oui ou non, ja oder nein. Die wo nein g'sait han, sin furtg'jagt worde, et alors que faire ? I han drei Kinder g'ha, messieurs, madame, deux fils un a Maidele, jetz sin's numme noch zwei, 's isch a fin scheen Dingele g'si, 's Margrittle.« Er lachte plötzlich auf, sah sich um und redete weiter. »Sellemol sin's drei g'si. Das wachst, ça pousse, ça veut vivre, messieurs . I ha in

Weitere Kostenlose Bücher