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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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Wiederholung des Refrains ein: »Aux armes, citoyens.«
    Neben Paul stand der dunkelhaarige Bleiche, der am Morgen in Gérardmer so inbrünstig sein »bleu, blanc, rouge« geflüstert hatte. Er sang mit. Länger als alle. Jedesmal wenn der Vers zu Ende war, hörte man noch seine heisere, von Schluchzen fast erstickte Stimme, ein nachhinkendes »Enfants de la patrie« wiederholend.
    Als der Gesang beendet war, stiegen die ersten Flammengarben in die Luft. Baron de la Flèche klatschte zierlich Beifall. »Reizend arrangiert, das muß man sagen.«
    Unmittelbar nach der Marseillaise hörte man heftiges Läuten. Ein Diener ging umher und kündete die Tram nach der Schlucht an. An den Tischen der Elsässer begann hastiges Einpacken und der Lärm betäubend laut gesprochener Abschiedsworte, Höflichkeitsphrasen, mit bäuerlicher Feierlichkeit und Gewissenhaftigkeit hervorgeschrien, donnerten daher. Die Frauen suchten und bündelten, die Männer tranken ihre Gläseraus, die Kinder weinten. Alle schwatzten zugleich. »Zitt fir heim,« holte man und »écrivez-moi« und »au revoir à l'année prochaine« .
    Rasch, ohne Anmut und Würde, machten sie sich davon.
    Pierre sah ihnen nach. »Sie haben's eilig genug, ins Elsaß zurückzukommen, und welche Klagen hat man heute nicht von ihnen gehört! Gar so unglücklich, wie sie behaupten, müssen sie sich also doch wohl nicht fühlen da in ihrem Deutschland.«
    Paul trat lebhaft heran. »Nicht jeden Tag, Papa! O, ich verstehe das gut. Der Alltag laßt sie eben mittrotten ohne Gedanken, bis wieder der Quatorze Juillet herannaht mit seinen lustigen und aufreizenden Melodien und seiner Marseillaise. Dann erheben sich die Ruhigen und Lässigen, dann beginnen sie ein erregtes Traumleben, dann irren sie umher unter den lustigen, leichtmütig feiernden ›Brüdern‹ und geben mit ihrer alemannischen Ernsthaftigkeit den pathetischen Einschlag zum leichten, schimmernden Gewebe des französischen Nationalfestes. So ist es.«
    Er hatte, inmitten der aufhorchenden Elsässer stehend, gesprochen, die Arme rednerisch bewegt. Ein lautes »vive« ringsum erwiderte ihm. Auch die Franzosen schlugen beifällig die Hände zusammen. Man drängte sich um Françoise und beglückwünschte sie wegen ihres Sohnes.
    Ein plötzlicher Regenguß störte die Szene und machte alle fliehen. Große, warme Tropfen stürzten nieder. Ohne viel Abschiednehmen stob alles auseinander. Das Kasinogebäude war schnell überfüllt von Schutzsuchenden. Armand schlug vor, dort im Speisesaal das Diner zu nehmen, aber Hortense widersprach, da sie schon zu Hause alles habe richten lassen. Auch Françoise war froh, aus dem Gewühle und Gelärme herauszukommen. So schickte man denn zur Villa um Regenschirme und ging dann durch den herrlich duftenden Abend nach Haus.
    Françoise ging, eng mit Paul zusammengeschmiegt, der seine Zigarre angezündet hatte und heiter auf sie einschwatzte. »Wenn ich sie so sehe, diese braven Leute, diese Elsässer, wirdmir ganz froh zumute. Wie naiv sie noch sind. Ganz aus einem Stück, ohne alles Raffinement.«
    »Du findest?« sagte Françoise sanft. Sie war nicht ganz seiner Meinung, aber sie hütete sich, die beruhigende Melodie dieser Äußerungen zu unterbrechen, die ihr wundervoll gut taten.
    Paul fing an von Paris zu sprechen, wie fade es auf die Dauer sei, ewig Neues zu erleben. Immer neue Erregungen sich abwechseln zu lassen. »Im Augenblick noch, ja, vielleicht, ich bin ja noch jung, aber wieviel würdiger lebt ihr doch da in der Provinz, Papa und du. Du mußt mir viel von euch erzählen. Und trägst du noch des Morgens deine reizenden kleinen Spitzentücher? Später, wenn ich erspart habe, kaufe ich mir eine Hütte auf dem Lande und okuliere Rosen. Ich träume davon. Paris degoutiert mich manchmal.«
    Françoise lächelte beglückt. »Du mußt dich verheiraten, Paul. Und weißt du, es wäre mir solche Beruhigung, wenn du keine Pariserin zur Frau nehmen würdest. Am liebsten eine Elsässerin. Das wäre ein festeres Band zwischen uns und dir da in der Fremde, und die Elsässerinnen sind vortreffliche Hausfrauen.«
    »Ich weiß das,« sagte er galant.
    »Nein, wirklich. Sie sind in mancher Beziehung auch gebildeter als die Französinnen. Namentlich in der letzten Zeit fängt das an. Sie wollen nicht zurückstehen darin gegen die Deutschen. Und sonst – wie heiter sind sie, wie vernünftig, gesund, und was für prächtige Mütter.« Und nun kam sie mit ihrem kleinen Plan hervor. Sie wollte

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