Die Verborgene Schrift
verschiedenen Toiletten ähnlich durch die Gleichmäßigkeit ihrer Haltung. Alle hatten sie das rechte Bein über das linke Knie gelegt, so daß unter den dunkleren Oberröcken die Schaumwellen buntfarbiger Volants hervorbrausten. Dazwischen stand das Bein in durchsichtigem schwarzem Spitzenstrumpf. Alle machten sie es so. Denn die Provinz wagt nichts Eigenes. Sie bezieht von Paris die Eleganz von vor einigen Wochen aus ihren Modejournalen, denen sie religiös gehorsam nachfolgt. Die Herren, jetzt in Zylinder und schwarzen Röcken mit viel weißer Wäsche, beugten sich über die in ihren hoch hinaufreichenden Schnürleibern sehr gerade aufgerichteten, steifen Oberkörper ihrer Damen. Man schwatzte. Wie das Ticken von vielen, vielen kleinen Uhren klang es rhythmisch und rasch unter den roten Schattenschirmen der Zelte hervor. Dicht neben dieser Gesellschaft,oft am selben Tisch mit ihr saßen die Handwerker des Städtchens mit ihrem Besuch, Frauen ohne Hüte, Männer im Filzhut. An einem großen runden Tische prall in der Sonne sah man ganze Blumenbeete voll Fähnchen und Kokarden. Sie steckten auf den Hüten der Männer, auf den Schleifen der Frauen, sie wehten und leuchteten, sie brannten exotisch in dem starken Licht des Nachmittags. Es waren die Elsässer, die sich dort zusammengefunden hatten, viele in Landestracht. Hell blickten die Gesichter der jungen Mädchen unter den schwarzen Flügelhauben und runden Blumenhüten hervor. Verkrümmte Bäuerlein waren da mit ungeheurem violettem Regenschirm, Frauen in weiten Jacken mit eng anliegenden Samthäubchen, ein paar immerwährend essende Kinder an ihren Rockfalten. Jetzt waren sie alle lustig. Sie lachten geräuschvoll, hatten Weinkrüge vor sich stehen und schmausten ihre mitgebrachten Vorräte, die sie aus buntkarierten Tüchern hervorzogen. Die gerade aßen, waren stumm, wichtig, wie bei einer schweren Arbeit. Und die Umsitzenden achteten ihr Schweigen.
Zwei andere Elsaßtische waren noch da, Bürger mit ihren Frauen und Töchtern, Kaufleute, Lehrer, Gastwirte, Fabrikangestellte. Bei ihnen ging es gehaltener zu und stiller. Viel frische Jugend auch hier und viele nasse Mutteraugen, die beim Wiedersehen mit dem Sohne schon wieder um den Abschied weinten.
Pierre trat mit Paul einen Augenblick an solchen Tisch heran. Paul hatte den Eindruck, der Vater wolle ihn seinen Landsleuten vorstellen. Er begrüßte einen Winzer, den er kannte. »G'rotet's?« Der Winzer, eben noch von Lachen über irgendeinen Witz geschüttelt, zog ein Jammergesicht.
»Wie soll's g'rote? Vous savez, Monsieur Füeßli, sitther, daß m'r net meh zum Frankrich g'höre, sitther g'rotet d'r Win nimmeh.«
» Vous croyez, monsieur? Awer grad Ihr, les vignerons, in d'r alte Zitt han Ihr doch noch allewil d' concurrence vom Frankrich g'ha – pas vrai ?«Der Alte lächelte verschmitzt. » Vous avez raison , racht han Ihr, Monsieur Füeßli. Ça ne va pas trop mal. «
Paul sah den Alten sitzen, der die Fahne geküßt hatte. Er ging auf ihn zu. Ob es ihm nicht zu viel würde, die Reise zu machen in seinem Alter?
» Je crois ben qu'non, monsieur, un bon Alsacien comme moi !«
»Sprechen Sie nur Elsässisch mit mir,« sagte Paul, weil das Männchen seine Worte suchte, erhielt aber stolz zur Antwort: »Je Vrançais, je ne boufoir allemang.« Dann aber fuhr er dennoch auf deutsch fort: Viel könne er freilich jetzt nicht mehr tun, die campagne in Afrika hätte ihn allzusehr ausgesogen, und die kleine Pension, die er von Frankreich beziehe, könne ihn nicht ernähren. »Awer, Dieu merci, fufzeh Mark han i noch d'rzu de ces cochons de Ditsche. I bin do vordem postillon g'si, driewe in Bollwiller.«
»Ah so, nun, dann habt Ihr's ja gut, Ihr nehmt von beiden!« Er war plötzlich abgekühlt.
Das Männchen nickte. » Que voulez-vous, m'r mueß lawe.«
»Sind denn gar keine elsässischen Honoratioren hier?« fragte Paul den Vater.
»Ja freilich, aber sie mischen sich zwischen die Franzosen und bemühen sich, möglichst wenig abzustechen von ihnen.«
Sie horchten nun ein wenig an den bezelteten Tischen umher. Dort sprach man von Toiletten. Ein Herr, dessen Dialekt ihn als Elsässer bezeichnete, meinte, man dürfe nur Engländer als Schneider haben, nur sie verständen ihre Kunden pariserisch anzuziehen.
»Es ist nicht bequem zu reisen,« sagte ein Herr zu einer Dame, »aber man erfährt etwas.«
»Wozu? Es ist nie angenehm zu erfahren, daß man etwas nicht weiß.«
Zwei Damen versuchten eine Kollekte
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