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Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
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leuchtende Gesicht zu ihm empor. Und wieder durchrieselte es ihn, als hielte er eine fremd Verwandelte an seiner Brust.
    »Das entscheidende Wort ist noch nicht gefallen,« sagte sie lebhaft, »aber der Kriegsminister hat es in das Land hinausgeschrien: Frankreich ist bereit, la France est archiprête !«
    Sie ließ das Wort tönen, fast ein wenig bewußt. Ein sehr französisches Gefallen an der heroischen Geste lag darin. Heinrich empfand das dunkel.
    »Also dennoch der Krieg!« sagte er absichtlich nüchtern. Er hatte Angst vor Françoises Erregung und vor seiner eigenen. Aber dann packte es ihn wieder.
    »Es wird etwas Herrliches sein, etwas Großes, das wir damit erleben dürfen: die Erhebung eines ganzen Volkes.«
    Sie machte sich los. »Du wirst das erleben, nicht ich.«
    »Warum nicht du mit mir, Françoise?«
    »Wir hier in Frankreich werden einfach in den Zeitungenlesen, wenn unsere Heere diese und jene Schlacht gewonnen haben, das wird alles sein.«
    »Und wenn wir glücklicher sind als eure Soldaten? Wenn wir es sind, die siegen?«
    Sie schüttelte leise und traurig den Kopf. »Frankreich ist unbesiegbar, mein armer Freund!«
    »Aber wir, Françoise, wir haben eine Sehnsucht in uns, die macht stark.«
    »Von welcher Sehnsucht sprichst du jetzt?«
    »Elsaß wieder deutsch, und Deutschland wieder ein Kaiserreich.«
    Sie strich ihm mütterlich über sein dickes blondes Haar. Tiefinnerlich hatte es sie enttäuscht, daß er von dieser Sehnsucht sprach, nicht von der seinen nach ihr, aber sie wußte das kaum.
    »Mein Vater hat Auftrag bekommen,« fing sie wieder an, »die Listen für die Mobilgarde zu veröffentlichen. Man hat eine Kriegsanleihe von fünfhundert Millionen aufgenommen, die Soldaten, die wir hier erwarten, sind nach Belfort kommandiert, das Fort de Barres zu besetzen, fünfzigtausend Mann sind nach dem Camp de Châlons kommandiert.«
    Bei den letzten Worten brach ihre Stimme.
    »Ich ertrage es nicht,« schrie sie auf. »Du gehst fort, und nichts, nichts bleibt mir von dir. Ich will etwas in mir behalten von dir!« schrie sie verzweifelt.
    Sie warf sich mit solcher Heftigkeit auf ihn, daß er schwankte. Er faßte sie fester. »Kind, Kind!« Weiter wußte er nichts zu sagen. Aber sie ließ sich nicht beruhigen, streichelte angstvoll sein Haar, seine Hände, küßte jede Stelle seines Gesichts, brannte und zitterte und krümmte sich vor Gram.
    »Glaubst du nicht, daß ich auch leide?« flüsterte er. »Aber sei gewiß, ich komme zurück.«
    In seiner Angst sprach er blasse, haltlose Worts. »Man wird mich nicht verwunden, ich werde an mein Mädchen denken, das auf mich wartet, das wird um mich sein, wie ein Schild.«
    »Ach!« Mit einer verächtlichen Bewegung schüttelte sie das alles weg von sich. »Ich will dich nicht in den Krieg lassen,« stieß sie heraus. »So nicht! Ich bin zu dir gekommen – ichwill dich!« Sie bog den Kopf zurück und flammte ihm ins Auge. »Hier bin ich,« sagte sie noch einmal rauh. Er atmete schwer. Eine fürchterliche Stille war zwischen ihnen, sekundenlang. Immer noch lag ihr Kopf zurückgebogen, ekstatisch. Weißer und weißer wurde ihr Gesicht, ihre schwarzen Augen glühten ihn an. Er preßte die Lippen zusammen in seiner Qual. Sein Flüstern klang wie Stöhnen.
    »Willst du, daß ich als Ehrloser in den Krieg ziehe?«
    Sie rührte sich nicht. Der Schweiß trat ihr auf die Stirn.
    »Du hast versprochen, nicht ich« – erwiderte sie hartnäckig.
    »Ehrlos auch gegen dich, Françoise.«
    Ihre zurückgebäumte Gestalt lastete immer schwerer in seinen Armen. Eine fast unerträgliche Lust, hinzusinken, nachzugeben, glücklich zu sein, ließ ihn einen Augenblick erschlaffen. Dann hatte er sich wiedergefunden. Es war vorbei.
    Françoise Balde spürte sogleich, was in dem Manne vorging, der sie im Arm hielt; sie sank plötzlich in sich zusammen.
    »Mein Weib, mein Weib,« flüsterte er beschwörend. Sie lag wie eine Sterbende. Und plötzlich kam glühende Scham in ihr Gesicht, sie riß sich los, wollte hinweg, lief, strauchelte über eine Tannenwurzel und sank mit einem Wimmern zu Boden.
    »Weg, geh weg!« Sie stieß fast mit dem Fuß nach Heinrich, der neben ihr kniete.
    »Geh weg!« Sie bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen. »Geh weg!« sagte sie nach einer Weile wieder dumpf.
    Er nahm ihr die Hände vom Gesicht und ließ sie seine Augen sehen, die voll Leid und Anbetung standen. So blieben sie lange.
    »Ich muß dir danken,« sagte Françoise endlich leise. »Ich

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