Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
Vom Netzwerk:
gell?« »Petit-Singe« grinste. Eben läutete es zur Frühmesse. Die beiden faßten sich wieder an und liefen davon. Heinrich sah ihnen nach, wie sie unter dem grauen Himmel dahineilten, halb weinend, halb lachend, während ihnen aus den Stoppelfeldern die Krähen schreiend entgegenflogen.
    Er richtete sich auf. Gerade und fest stand er im Wagen, den Blick nach dem Lande hin gerichtet, das ihn rief, dem er gehörte. Dann wandte er sich. Noch einmal sah er zurück auf das Elsaß, von dem er nun Abschied nehmen sollte.
    »Ich werde wiederkommen« – sagte er laut – »wiederkommen, um mir mein Eigentum zu erobern.«

Zweiter Teil
    Frankreichs Kriegserklärung an Preußen war abgesendet. Und nun begann jene heilige Raserei um sich zu greifen, die die Völker jäh und jäh zwingt, sich, Schaum der Begeisterung auf den Lippen, zuckend und singend in die große Blutschale hinabzustürzen, die der Krieg ihnen entgegenhält: ein wildes Amoklaufen hin zum Tode.
    So fing es auch diesmal wieder an. In ganz Deutschland. Denn nicht nur Preußen gab Antwort auf die Kriegserklärung. Die Hetzer in Paris, die unermüdlich ihr »à Berlin, à Berlin« schrien, hatten sich verrechnet; Süddeutschland ging mit, und Hannover ging mit und Sachsen. Alles, was vorher sich befehdet hatte vom West zum Ost, vom Süd zum Nord der deutschen Länder, das war plötzlich zusammengeschlossen im gleichen Gefühl der Abwehr und der Wut gegen Frankreich. Ein einziger Schrei, dem Feinde entgegen, flog durch das sommerheiße Land. Zorn war in diesem Geschrei und Gebet, Werkstatthämmern und Glockengeläute, ein Aufrauschen von Fahnen, die entrollt wurden, ein Zischen von Säbeln, die aus der Scheide fuhren, ein starrer, entschlossener Mut und ein Rasen von Opfersüchtigen. Frauen warfen sich jauchzend ihren Männern an die Brust und küßten sie zu Helden, Mütter hängten, mit starren Augen lächelnd, ihren Söhnen die blutgierigen Waffen um, Mädchen schmückten den Helm des Liebsten mit Rosen. Und zwischen allem ein Singen überall, junge getroste Stimmen; die machten die alten Lieder neu und ließen sie klingen.
    Ergreifender aber als dieses Singen, Rauschen und Klirren rundum war das tiefe Schweigen des Volkes Unter den Linden zu Berlin, wie es, lautlos eng gedrängt, eine ganze Nacht hindurch vor König Wilhelms Fenster stand und zu seiner Arbeitslampe hinaufstarrte.
    Auch in Frankreich war zu gleicher Stunde die Kriegsbotschaft durchs Land geflogen, das Echo aber, das ihr antwortete, war kein einmütiges. In Paris freilich dröhnten die Boulevards von Jubel und Gesang. Das Militär, sonst nicht besonders beachtet, wurde jetzt Mittelpunkt der Öffentlichkeit. Die Offiziere mit Käppi, Dreispitz, Persermütze oder Roßschweifhelm besetzten die Cafés. Sie plauderten vergnügt. Endlich einmal ging es los! Man würde Mut zeigen können. Neues erleben und bestehen! Die gallische Aktivität spritzte hoch auf. In den Arbeitervierteln ging es groß her mit Schimpfworten und Drohungen gegen diese frechen »Preußen, die den Krieg gewollt hatten«. In den Stadtteilen der Studenten zogen die jungen Leute mit ihren Mädchen singend durch die Straße.
    Was aber fehlte bei alledem, das war der starke, kraftvolle Ernst hinter der begeisterten Gebärde, die Besonnenheit, die sich schweigsam und gefaßt an die Arbeit macht. Und was fehlte, war das spontane Gefühl der Zusammengehörigkeit von Herrscher und Volk; jenes Gefühl, das drüben in Preußen jeden Einzelnen hatte aufschreien machen bei der Kränkung, die man seinem König angetan. Aufschreien und ans Schwert greifen aus eigenem, heißem Entschluß. Hier in Frankreich war man nicht Soldat, nur wenigen ging es ans eigene Blut, wenn Krieg kam. Die paar Mobilgardisten zählten kaum. Die meisten fühlten sich als Zuschauer. »Die Armee wird's schon machen!« In der Provinz gar merkte man von der Begeisterung überhaupt nicht viel. Wohl veranstalteten die Bürger hier und da patriotische Kundgebungen, aber man bediente sich hauptsachlich dieser Flagge nationaler Entrüstung, wenn man Lust hatte, sein Mütchen an den lokalen Mißliebigen zu kühlen, an den Ausländern etwa, den Liberalen oder Protestanten.
    Auch vor Baldes Hause machte sich eines Abends ein Häufchen Schreier laut. Als er aber seinen mächtigen grauen Kopf in die Gasse hinausstreckte und die Leute verwundert bei Namen rief, zogen sie befriedigt wieder ab.
    Ihren großen Streik hatten die Arbeiter aufgegeben, sie sahen ein, daß der

Weitere Kostenlose Bücher