Die Verborgene Schrift
der eine freundliche Bewegung machte, ihn anzureden, hörte hinter sich etwas schleichen, das ganz nahe herankam, ihn anzurühren schien, das er, sich heftig umwendend, als den Pfiffer-Schang von der Sulzer Tanzdiele erkannte, sprang dann in zwei Sätzen die Treppe hinauf und warf sich aufs Bett. Dort versank er in bleiernen Schlaf. Ein paarmal hörte er Schritte an seiner Tür, meinte auch erst die Magd, dann die Tante an seinem Bett zu sehen, aber er regte sich nicht.
Als endlich die Betäubung gewichen war, stand er auf und packte sein Köfferchen, das Buch vom »Grünen Heinrich« ließ er draußen, das sollte Françoise haben. Er schrieb eine Widmung ein für sie. »Françoise Balde zum Andenken an Heinrich Hummel.« Nichts weiter, dann Tag und Jahreszahl. Er sah nach der Uhr, es war die vierte Nachmittagsstunde. Ihn hungerte, er hatte seit heute morgen nichts gegessen. Gerade als er hinuntergehen wollte, hörte er weiche Schritte auf der Treppe. Camille Bourdon trat ein, erhitzt, den Hut noch auf dem Kopfe.
»Wir haben Sie heut beim Mittagessen vermißt, mon neveu !«
Hummel murmelte etwas von »nicht ganz wohl sein«.
»Ah, ich hoffe, es ist sans importance ? Man selber freilich könnt' ebenfalls die raison verliere vor exaltation . Heut in der Früh hat's geheißen, alles ist wieder in der Reih, der Hohenzollern verzichtet, und jetzt hört man wieder, das Dings mit der couronne d'Espagne ist doch noch nicht en ordre. Au contraire, ganz im Gegenteil, schlimmer als je. Das Gouvernement hat bei Ihrem König in Ems reklamiert. Versprechen soll er: kein Prinz aus seiner Familie darf prätendieren für die couronne d'Espagne . Versprechen muß er's pour maintenant et toujours . Ah, ja doch« – er duckte sich vor der Bewegung des Zorns, dieHeinrich machte – »ich bin ganz Ihrer Ansicht, mein Neffe, aber que voulez-vous que j'fasse ? Alle sind wütig auf den Bismarck, der uns die ganze Suppe eingebrockt hat. Im Postbüro hat man heute mittag schon von Spionen geredet, die er ins Elsaß geschickt hätte, Monsieur de la Quine machte dabei eine Grimasse nach mir hin, ich habe es wohl gesehen.«
Heinrich Hummel wies statt jeder Erwiderung auf seinen gepackten Koffer.
»Ah, Sie wollen wirklich?« Seine Miene erheiterte sich.
»Und was hat man Ihrem Abgesandten erwidert?« fragte Hummel zuletzt.
»Man sagt, König Wilhelm habe sich zuletzt geweigert, ihn zu empfangen.«
»Gut so!« Heinrich richtete sich auf, seine Augen blitzten. Camille Bourdon faßte ihn unter den Arm. »Aber nun müssen Sie endlich essen. Madame Bourdon hat ein Hammelstötzele bereitet mit Böhnchen, und der gute vol-au-vent ist auch wieder in den Ofen gestellt. Kommen Sie nur geschwind, sonst nimmt Madame es Ihnen übel. Sie ist untröstlich, weil Sie uns im Stich ließen. Und, ah, fast hätte ich vergessen« – er kramte in seinen Taschen – »ein Telegramm an Sie. Monsieur Cerf hat zu Madame Schlotterbach gesagt, wo ich vor dem Essen war, es ist von einem preußischen Offizier.«
»Nun, es ist recht angenehm, daß auch ich mein Telegramm zu lesen bekomme, wenn auch freilich erst zuallerletzt,« sagte Heinrich böse. Er öffnete. Es war die Antwort seines Onkels Bassewitz. »Man gehört jetzt nach Deutschland.« Das durchfuhr ihn. Er fühlte sich auf einmal wie berührt von einer festen Hand, die ihn fortriß von hier.
»Monsieur Cerf ist Mittagsgast bei meiner Tochter,« fuhr Bourdon fort, ohne auf das Schweigen seines Gastes zu achten, »sehr elegant, sehr gewandt in Politik. O, eine vortreffliche Akquisition!«
»Ich sah ihn heute morgen mit Madame de la Quine von der Wallpromenade kommen,« sagte Hummel. Er hatte das Bedürfnis, umsich zu beißen, seiner tiefen Erregung einen ungefährlichenAbzug zu verschaffen. Aber Bourdon schien aufs unangenehmste berührt von dieser Nachricht. Sein Gesicht wurde hochmütig.
» Il fait la cour à Madame Schlotterbach, ich kann nicht glauben, daß er sich erlaubt, fast unter ihren Augen –«
Unten war der Tisch noch für ihn gedeckt, die gute Tante umsorgte und hätschelte ihn, er mußte essen, guten Wein trinken und sich pflegen. Sie klagte, sie habe es so schwer mit der Magd. Die Soldaten wären immer noch hier. Der erste Offizier wisse nicht, was tun. Und mit den Mädels sei nicht auszukommen inzwischen.
»Wir Hausfrauen haben es sonst gern,« meinte sie, »wenn unsere Mägde sich Soldaten anschaffen, man hat sie dann sieben Jahre sicher, und sie gehen doch etwas weniger mit andern
Weitere Kostenlose Bücher