Die Verborgene Schrift
klopfen wir den Frechlingen ihre roten Hosen aus, und dann kommen wir hinüber, Elsaß zu befreien. Sag' ihnen das.«
Hummel erhob sich. Etwas Fanfarenhaftes klang da heraus, was ihn mitriß. Dann besann er sich. Das alles war ja aber nun umsonst, der Friede wiederhergestellt, die Länder in Ruhe. Fast tat es ihm leid um all die schöne Kraft, die so nutzlos verpuffte. Auch er selbst – er war jung und liebte sein Vaterland. Das sollte man ihm nicht schelten und kränken. Seine Kräfte erproben, ein großes Kampfspiel haben!
Mit großen Schritten ging er im Zimmer auf und ab. Er las wieder durch, was der arme Krompholtz vom Elsaß gesagt hatte. Das machte ihn lächeln. Befreien von den Franzosen – nein, so stand es nun doch nicht hier! Er stockte. Aber wie stand es denn eigentlich im Elsaß? Er rief sich die Männer zurück, die er hier kennengelernt hatte, Balde, Bourdon, den Ratsschreiber, Schlotterbach, den jungen Victor Hugo. Jeder von ihnen hatte etwas Deutsches an sich gehabt, wenn auch etwa nur, wie Schlotterbach, die Sucht nach dem Fremden, alle aber fühlten sich als Franzosen. Und gern. Schon deshalb, weil es ihrer alemannisch-eigenbrötlerischen Art gefiel, in Frankreich die Besonderen zu sein. Und die Frauen? Die fühlten sich wohl alle als Französinnen. Und Françoise? Er selbsthätte sie sich gar nicht ganz als Deutsche denken mögen. Daß sie beide ihre Verschiedenheiten fühlten und sich trotzdem so eins wußten, so unentbehrlich eins dem anderen, grade das machte ihre Liebe zueinander so aller Wunder voll, so göttlich. Eine heftige Sehnsucht nach ihr überfiel ihn. Er trat ans Fenster. Es war kühler geworden. Drunten stand die Linde schon tief im Kirchenschatten, aber der Platz war leer. Eine Weile stand er da und schaute, dann griff er nach seinem Hut. Er wollte wieder nach dem Hünengrabe, da im Tannenneste sitzen, wo sie gesessen hatte.
Bei einer Bewegung, die er machte, hörte er ein leises Knistern. Er griff rückwärts nach der Tasche und fand da, mit einer Stecknadel befestigt, ein Stück illustrierte Zeitung.
Das mußte ihm der Pfiffer-Schang da angesteckt haben! Ein Witzblatt schien es. »La Prusse cane,« war die Überschrift. Daneben mit Bleistift aus dem Jargon übersetzt: »Preußen kneift.« Man sah einen Hund mit den Bartkoteletten König Wilhelms geziert, der sich vor dem Fußtritt eines kurzgeschürzten schönen Mädchens »la France« verkriecht. Diesmal ereiferte sich Heinrich nicht. Langsam zerriß er das Papier und machte sich dann auf den Weg nach dem Thurwalde.
Am Beginn des Feldweges lief ihm Victor Hugo entgegen.
»Sie sagen, du gehst fort?«
»Ich komme wieder, bald.«
Das Kind wurde rot. »Und du wirst nie vergessen, daß ich es war, der sich opferte? Nicht wahr?«
»Niemals, kleiner Vetter. Und weißt du« – er zog ihn freundschaftlich am Ohr – »du könntest mir manchmal schreiben. So von dir und von den anderen.«
Victor Hugo sah ihn unter Tränen an. Er nickte heftig. Dann zog er ein nicht sehr sauberes Taschentuch aus seiner Bluse, schnaubte sich donnernd und begann schon jetzt damit Abschied zu winken, obgleich Heinrich noch vor ihm stand. Er wedelte ihm fast ins Gesicht. Heinrich beugte sich zu ihm und küßte ihn, dann ging er schnell davon.
Mit brennenden Augen wanderte er durch die weiße, wogende Wiese, am Ufer der Thur entlang, dann an den weinendenWeiden, den zerstörten Tierfallen vorbei, quer durch das heiße Gehölz nach dem Hünengrabe. Er bog durch die Büsche und blieb, von einem süßen, wunderlichen Schauer erfaßt, stehen. Da im Tannennest am Hügel saß Françoise. Sie saß ganz ruhig da in einem weißen Kleide und hielt die Augen auf ihn geheftet. Dann stand sie auf. Er erschrak, weil sie so groß war, und vor ihrem wie durchlichteten Gesicht.
»Ich wartete hier auf dich,« sagte sie ruhig.
»Du wartetest auf mich?« Ihr Wesen war so fremd und priesterlich, daß er nicht näher zu kommen wagte.
»Ja, Heinrich, ich wußte, daß du noch einmal hierher kommen würdest, ehe du in den Krieg ziehst.«
»In den Krieg?«
Das war nicht mehr das warme blonde Kind von heute morgen, das da zu ihm sprach, etwas Frauenhaftes klang aus ihr, als sie im gleichen stillen Tone sagte: »Du weißt es also noch nicht!«
Er sah jetzt, daß ihre Augen wund und rot umrändert waren, daß sie geweint hatte.
»Françoise, Kind!« Er stürzte zu ihr hin und schloß sie, in dem Bedürfnisse zu schützen, in die Arme. Sie hob das wie in Schmerzen
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