Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Verborgene Schrift

Titel: Die Verborgene Schrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselma Heine
Vom Netzwerk:
Trichter, den Rosenkranz um den Arm geschlungen, in der anderen Hand einen irdenen Wasserkrug, war sie damit beschäftigt, die großen blechernen Milchkannen, die vor ihr aufgestellt waren, ausgiebig zu verdünnen, wobei sie im Takte ihres Gießens gefühlvoll ihr Morgengebet plärrte. »Je vous salue,« schwabb – »Marie, pleine de grâces,« schwabb-schwabb – Als sie Heinrich bemerkte, machte sie einen höchst mißlungenen Versuch, den kurzen Stepprock länger zu ziehen, gab dann aber tapfer jede Beschönigung ihrer Person sowohl wie ihres Tuns auf.
    »Que voulez-vous, mon neveu, ce sont les affaires.«
    Und plötzlich rollten ihr große Tränen in den Krug.
    »Mir isch's arg leid, daß Ihr uns verlosse, arg leid!«
    Als er abfuhr, stand sie am Fenster und winkte mit einem kleinen Tuche. Onkel Camille stand unter der Haustür, zog sich aber angstvoll zurück, wenn jemand vorüberging.
    Heinrich setzte sich im Wagen auf seinem Koffer zurecht. Einen Augenblick schien vom Rathausfenster oben die liebe rosige Glatze auf ihn herab, dann rumpelte er zur Illbrücke. Jetzt tat sich ihr Gäßchen auf, er sah ihr Haus, ein heller Umriß am Fenster, jetzt ein langer, grüßender Schleier, dann nichts mehr. Im schütternden Trabe ging's weiter, immer weiter weg von ihr. Heinrich nahm sich zusammen. Er blickte um. Alles schien ihm verändert. Die Zuchthausmauer leer, kein rothosiges Soldätle droben, das Bataillon war heute früh endlich abmarschiert, der Ersatz wurde erwartet. Von der Chaussee aus sah er noch einmal das braunglänzende, zierlich aufgebaute Städtchen mit seinem schlanken Kirchturm, das so lockend knusprig auf der grünen Schüssel seiner Vollwiesen stand, von weitem sah er auch den Ackerweg wieder, wo ihm zuerst Françoises blaues Kleid so tröstlich aufgetaucht war, aber das Feld war gemäht, ein heißer Wind fuhr über die Stoppeln. Als er an die Thur kam, die kühl und silbern blinkte, puffte er »Petit-Singe« in den Rücken: »Plus vite, plus vite.« Sehnsüchtig folgte er dem wildkrummen Geläufe des Flüßchens bis hinauf, wo er Françoises Wald wußte. Er malte sie sich aus, wie sie als kleines Kind sich vor dem Schratzmännchen gefürchtet hatte, das da des Elsaß alte goldene Schätze hütet. Er sah es hocken, ihr treues Wichtlein, und wachen und schützen. Und unwillkürlich nahm es die Züge des Alten vom Rathausfenster an. Denn, ja freilich gab es zu wachen und zu schützen hier im Elsaß über halbversunkenem, gutem, deutschem Schatzgold. Er fühlte ein Zucken der Tatkraft in allen Gliedern. Sein Herz schlug wie eine Wünschelrute, die Edelmetall spürt unter weichem, blühendem Grund.
    Der Wagen polterte weiter. Am Horizont vorn hob sich eine Staubwolke, die abziehenden Soldaten. Man hörte Musik, heiter, tanzartig. Hummel sah dem allen fast teilnahmlos zu. Flüchtig fiel ihm ein, daß er diesen Soldaten dort vielleicht bald einmal im Kampfe gegenüberstehen würde. Aber das alles war noch nebelhaft, er vermochte sich keine festen Vorstellungen davon zu formen. Er tastete nach der Kornähre, die er in seiner Brusttasche trug. Françoise bewahrte die andere.
    Und jetzt löste sich dahinten, wo die Soldaten marschierten, etwas ab, eine zweite kleinere Wolke. Sie wogte und wankte und trennte sich endlich vollständig von dem Soldatentrupp, aus dem es unruhig wehte und blitzte. Dann rannten sie heran, Mädel aller Art. Sie hielten sich an den Händen, armschaukelnd kamen sie daher. Sie waren mitgetrabt mit ihren »bien-aimés« , an der Mühle hatten sie umkehren müssen. Ein paar weinten noch, ein paar lachten. Eine blieb stehen und schrie wie in Krämpfen: »Jetz isch er fort, d'r Schorschi, un i g'sieh 'ne nie meh'.« Immer aufs neue. Die anderen suchten sie zu trösten. Eine, da sie nun dicht am Milchwagen waren, warf Heinrich Kußhände zu. Das Französlein auf dem Lenksitz machte eine täppische Bewegung mit beiden Händen, als fange er die Küsse auf und führe sie dann zum Munde. » Ah, ah, ça fait du bien! Halte là, ma belle , Monsieur het kei Zit für's Karressiere, Monsieur reist ab. Mais le p'tit singe, le voilà .«
    Er machte eine burlesk einladende Bewegung. Die Lachende warf ihm eine kleine Birne ins Gesicht, an der sie eben geknabbert hatte. »Do häsch, sale bête , un meh' gits net!«
    Die Untröstliche aber hörte auf mit Lamentieren, sie kam heran. Sich mit dem Handrücken die Augen wischend, schwänzelte sie näher. Sie strich an dem Kleinen vorbei. »Uf'm Wall ce soir ,

Weitere Kostenlose Bücher