Die Verborgene Schrift
Männern.« Und das mit der Magd sei es nicht allein, gestand sie, sie habe eben auch Angst um ihren Jules in Straßburg. Er sei Verlobter von der Tochter eines Douaniers am Kehler Tor, der dort sein Häuschen und seine Äcker zwischen den kleinen Forts habe. Käme es zum Kriege mit Preußen, müßten sofort diese Besitzungen geräumt und abgerissen werden, und dann: » bonsoir la dot !«
Sie trocknete große Tränen. Aber Camille, durch Heinrichs Abreise in optimistischste Stimmung zurückversetzt, schrie sie an, wie sie so töricht sein könne, sich Sorge zu machen: »Was mich betrifft, ich habe niemals an den Krieg geglaubt, niemals.« Er puffte einem unsichtbaren Gegner triumphierend in die Seiten. Hummel, wortkarg und bleich, war schon weit, weit fort von alledem. Er fragte, wie man es einrichten könne mit seiner Abreise?
»Madame Schlotterbach erläßt Ihnen den Abschiedsbesuch!« erwiderte Bourdon königlich. Aber die gute dicke Tante hatte ihn besser verstanden. Sie schlug vor, man möge Théophile bitten, seinen Wagen anzuspannen und den Neffen zum Abendzuge nach Bollweiler zu fahren. Aber Bourdon wollte davon nichts wissen.
»Nicht so öffentlich vor aller Welt, man gibt den bösen Mäulern neue Nahrung. Nein, weißt du, was zu tun ist? Morgen in der Frühe – wir warten den hellen Tag gar nicht ab – Madame Bourdon schickt ja um fünf Uhr ihre Milchkannen auf einer charrette nach Bollweiler, wir legen ein paar Kissen hinein, Sie sitzen da weich comme chez le bon Dieu , und niemand ahnt Sie da.«»Ich fürchte mich nicht,« sagte Heinrich boshaft.
Er verabschiedete sich bald und ging auf seine Stube. Da fand er einen dicken Brief. Er erkannte die Handschrift seines Schulfreundes Krompholtz, eines verbummelten Jenenser Theologen, der kürzlich sein fünfundzwanzigstes Semester gefeiert hatte. Die ersten Seiten überflog er nur. Die Anrede brauchte seinen studentischen Spitznamen »Bienchen«.
»Wieder einmal scheußlicher Kater,« las er. Die Schilderung einer Abendsitzung mit langen Pfeifen auf dem Marktplatz folgte. »Ein Hoher Senat hat Maulkorbfreiheit beschlossen.« »Große Fahrt im Wichs, die Hunde bekränzt auf dem Rücksitz.« »Tapps und Himmelsziege rutschten aus dem Wagen.« Dann eine lustige Geschichte vom Nachtwächter, der sie mit seiner Plempe aus dem Graben am Karzerturm herausstöberte und sie feierlich anredete: »Meine Herren, wenn Sie sich betragen wie das Vieh, dann muß ich Sie auch behandeln wie das Vieh, und so fordere ich Sie hiermit die Studentenkarten ab.« Dann weiter: »Bin mal wieder tief im heulenden Elend drin. Epistel von meinem Alten, ich soll mich hinter die Bücher setzen, oder er enterbt mich. Hinter die Bücher! Schön gesagt. Die sind längst beim Juden. Lernen könnte ich sowieso nichts mehr. Beginnender Hirnschwund. Das Leben freut mich nicht, Kugel vor den Kopf, das ist das einzige.«
Hummel steckte den Brief ins Kuvert zurück. Schade um den! Er sah den breiten, fett gewordnen Menschen vor sich mit den intelligenten, aufgeschwemmten Zügen. Aber alles das schien ihm jetzt sehr fern, fast störend.
Er dachte an Françoise, und wie sie sich hineinfinden werde in das Universitätsleben in Jena mit seinen festen Regeln und Gesetzen. Ihm fiel ein, daß die Verheirateten, mochten sie noch so jung sein, nicht mehr tanzen durften, junge Mädchen dagegen noch mit dreißig Jahren, wenn sie wollten. O, wie sie lachen würden darüber, sie beide. Françoise würde anders sein als alle. Ihre Kleidung, ihre Sprache, die impulsive Anmut ihrer Bewegungen, keins von den Mädchen, die er dort kannte, hatte das so. Sie waren liebenswürdig, auch frisch vielleicht, klug, unterrichtet –o, sicher viel unterrichteter als sein elsässisches Mädchen. Keine aber war so gesund, verständig, irdisch wie Françoise, keine so natürlich in aller mädchenhaften Gebundenheit.
So saß er lange und träumte. Auf dem Tisch lag noch ein zweites Briefblatt, nach dem griff er jetzt.
»Mensch, es wird Krieg! Halleluja! Ich melde mich als Rekrut, daß Du's weißt. Bis jetzt hab' ich mich immer vom Dienen weggeschwindelt. Aber Bruder, wenn aus mir altem Sündenknochen überhaupt noch etwas Gescheites werden kann, dann ist's jetzt! Unten trällern sie ›Deutschland, Deutschland über alles‹. Jetzt soll das alte Luderleben aufhören! Jetzt hat man was, wofür man sich einsetzen kann. Vaterland! Hast Du Dir bis jetzt groß was dabei gedacht? Ich nicht! Sag' Deinen Elsässern da, erst
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