Die Verborgene Schrift
danke dir, daß du mich beschützt hast.« Ihre Lippen zuckten. Sie senkte die Augen. Dann aber beugte sie sich und küßte rasch seine Hand. Er zog seinen Arm erschrocken zurück. Sie faßte ihn aufs neue, fast versöhnlich. Hand in Hand saßen sie dann im Moose, manchmal noch ein leises Aufschluchzen in sich niederkämpfend.
»Ich gehe jetzt,« sagte Françoise endlich. »Laß uns nicht noch einmal Abschied nehmen, es ist so schwer. Wann fährstdu?« fragte sie noch und wischte sich die Tränen vom Gesicht. Es dauerte eins Welle, bis er antworten konnte.
»Wenn du an unserem Gäßchen vorüberfährst, sieh zum oberen Stock hinauf!« Sie war fast blind vor Tränen.
»Ich kenne das Fenster, ich sah dich letzte Nacht da stehen, im Gewitter.« Sie nickte nur. Als aber jetzt ihr Blick auf das bräutlich-weiße Kleid fiel, das sie angelegt hatte, zu diesem Wege, war es mit ihrer Fassung vorbei. Sie weinte, als solle sie zerfließen. Er stand verzweifelt neben ihr. »Bist du mir böse? Soll ich weggehen? Hassest du mich noch immer?«
Er griff nach den zwei Ähren, die sie zwischen ein paar Feldblumen im Gürtel trug. »Wenn dieses Korn zu Brot gebacken ist, essen wir es zusammen.«
»Wo? Wann?« fragte sie mutlos.
»Hier, zu unserer Hochzeit. Kopf hoch, Françoise, die Frau eines deutschen Mannes beißt die Zähne zusammen, wenn er in den Krieg zieht.«
Sie fühlte, was es ihn kostete, so zu sprechen. Wirklich preßte sie die Zahne aufeinander und versuchte ein Lächeln. Dann stand sie plötzlich auf, lief, wie in Angst, sich wieder von ihrem Jammer überwältigen zu lassen, ins Gebüsch hinein und war verschwunden. Er wartete eine Weile, horchte, rief, drang da und dort ins Dickicht, aber er sah sie nicht mehr. Da kehrte er denn zum Hügel zurück, wühlte sich tief hinein in die Tannenzweige und weinte sich satt.
Als er aufstand, war es schon spät am Abend. Dann ging er zum zweitenmal den Weg vom Thurwald nach Haus, zum zweitenmal heut den schweren Abschied in der Seele.
In der Pharmacie schlief schon alles, man hatte ihm ein kaltes Nachtessen zurechtgesetzt, die Brigitte, schlaftrunken, in Pantoffeln, schlurrte herbei. Sie würde ihn schon zur Zeit wecken, versicherte sie, er möge ruhig schlafen. Madame wäre dann auch schon auf und Monsieur würde kommen, ihm »bon voyage« wünschen. Ihm war alles recht. Er saß am Fenster und sah nach der Linde hinüber, die schweigend Wache hielt.Betäubend stieg von den Illwiesen her Heuduft in die schwüle mondlose Nacht, dazu das Surren der Grillen aus dem Garten. Beruhigt blickte er auf das Friedensfenster droben. Er hatte den guten, alten Mann da liebgewonnen.
Als Brigitte an die Tür klopfte, fuhr er ganz wirr empor. Von unten kam die rostige Stimme des Nachtwächters:
»Holt ihr Leute und laßt euch sagen,
die Glock' hat Fünf geschlagen.
Morgenrot am Himmel schwebt,
und wer den neuen Tag erlebt,
der lobe Gott den Herrn.«
Es fröstelte ihn.
Dann aber raffte er sich auf. Er fühlte sich entschlossen und kräftig. Der Gedanke an Françoise bekam etwas Feierliches für ihn. Das, was er an ihr erlebt hatte, schien jetzt maßlos und schön, wie eine Handlung von Erwählten. Er selbst kam sich dürftig vor mit seiner engen Vorsicht neben der reinen Glut ihrer Ekstase. In die banalen Hantierungen der Abreise hinein strahlte ihm ihr Bild in heiligem Feuer. Er sah wieder das helle, warme Rund ihres Antlitzes, wie es auf den flaumig hellen Wellen ihres Haares ruhte wie auf einem Kissen, und Begierde mischte sich ihm wollüstig mit der mystischen Wonne der Entsagung.
Während seine Seele dies erlebte, begab sich sein Leib in den kleinen, durch eine Glastür vom Treppenhause abgeschlossenen Küchenflur. Er wollte nach seinem Frühstück fragen.
Vielleicht wäre Heinrich Hummel nicht erstaunt gewesen, wenn jetzt ein Engel mit feurigem Schwert vor seiner Tür gestanden hätte oder ein hämischer Teufel mit roten Hosen und einer Warzennase oder der alte König, der gekommen ist, ihn in Person zu seinem Regiment zu holen, das aber, was er sah, war so unwahrscheinlich, so burlesk und unerwartet, daß man sicher nichts Besseres hatte ersinnen können, ihn zur Erde zurückzubringen. Im Küchenflur stand eine breite, weibliche Gestalt, an der es schwankte und wogte wie von Polsterkissen. Bekleidet war das Wesen mit Tollenhaube, rosageblümterkurzer Bettjacke und einem Stepprock, der wie eine Glocke abstand, dazu rote Strümpfe: Tante Amélie! In der Hand einen großen
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