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Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Titel: Die verborgene Sprache der Blumen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Diffenbaugh
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einem Krug Wasser in ein Kristallglas und verschwand dann durch die Schwingtür in der Küche. Er kehrte mit einem ganzen Brathähnchen auf einer silbernen Platte zurück.
    »Kochst du so viel für dich allein?«, fragte ich verwundert.
    »Manchmal«, erwiderte er. »Wenn ich dich nicht aus dem Kopf bekomme. Doch heute habe ich für dich gekocht. Als ich sah, wie du über den Zaun geklettert bist, habe ich den Backofen eingeschaltet.«
    Mit einem Messer trennte er beide Keulen ab und legte sie auf meinen leeren Teller, bevor er die Brust tranchierte. Dann holte er eine Sauciere und ein langes Tablett mit gebratenem Gemüse aus der Küche: Rote Bete, Kartoffeln und Paprika in bunten Farben. Während er mir das Gemüse servierte, hatte ich bereits das Fleisch vom Knochen der ersten Keule gelutscht. Ich legte den blanken Knochen in eine Saucenpfütze. Grant nahm mir gegenüber Platz.
    Ich wollte so vieles wissen. Grant sollte mir jeden Tag beschreiben, der vergangen war, seit er das Baby in dem mit Moos ausgelegten Korb gefunden hatte. Wie hatte er sich beim ersten Blick in die Augen seiner Tochter gefühlt? Hatte er Liebe oder Angst empfunden? Und warum wohnte sie bei Elizabeth?
    Doch anstatt zu fragen, verschlang ich das Brathuhn so gierig, als hätte ich nichts mehr zu essen bekommen, seit Grant das letzte Mal für mich gekocht hatte. Nachdem ich beide Keulen und Flügel verspeist hatte, machte ich mich über die Brust her. In meiner Erinnerung vermischte sich der Geschmack des Fleisches mit dem von Grant, seinen Küssen nach dem Kochen und daran, wie er mich nur dann berührt hatte, wenn ich ihn darum bat, im Atelier und in allen drei Stockwerken des Wasserturms. Ich hatte ihn, seine Berührungen und seine Kochkünste zurückgelassen, und nichts, nichts hatte sie ersetzt. Als ich aufschaute, beobachtete er mich beim Essen, wie er es so oft getan hatte, und ich erkannte an seinem Augenausdruck, dass auch ich nicht ersetzt worden war.
    Schließlich hatte ich aufgegessen. Das Brathuhn auf der silbernen Platte hatte sich in eine Knochenskulptur verwandelt. Ich sah Grants Teller an. Es war schwer festzustellen, ob er überhaupt etwas gegessen hatte. Ich hoffte es. Ich hoffte, dass ich nicht den ganzen Vogel in mich hineingestopft hatte. Aber als er mich fragte, ob ich mir Hazels Zimmer anschauen wollte, und ich versuchte aufzustehen, spürte ich das Gewicht des Fleisches in mir. Ich ließ mich von Grant die Treppe hinaufschleppen. Er öffnete die erste Tür am Flur und führte mich zum Rand eines Doppelbettes. Ein Gitter aus weißem Holz verlief um die Kante der Matratze, wo sie nicht an die Wand gerückt war. Ich legte mich hin. Grant hob meinen Kopf an und schob mir ein Kissen in den Nacken. Dann ging er an einem Schaukelstuhl vorbei und holte ein in rosafarbenes Leder gebundenes Album aus dem Bücherregal.
    »Elizabeth hat es für sie gemacht«, sagte er und schlug das Buch auf. Auf der ersten Seite befand sich die Abbildung einer Haselnussblüte. Catherine hatte sie gezeichnet. Sie war aus der Aktenmappe entfernt, in durchsichtiges Plastik eingeschweißt und mit goldenen Fotoecken im Album befestigt worden. Darunter stand der Name meiner Tochter, Hazel Jones Hastings, in Elizabeths eleganter Handschrift, und auch ihr Geburtstag, der 1. März, der überhaupt nicht ihr Geburtstag war. Grant blätterte um.
    Auf dem eingeklebten Foto lag Hazel in ihrem mit Moos gefütterten Körbchen, genauso wie ich sie zum letzten Mal gesehen hatte. Mein Magen krampfte sich zusammen, und mir traten die Tränen in die Augen, als ich mich daran erinnerte, wie unermesslich und hilflos ich sie in diesem Moment geliebt hatte. Auf der nächsten Seite ragte Hazels Kopf über Grants Schulter. Sie steckte in einem Tragesack und hatte einen breitkrempigen weißen unter dem Kinn zugebundenen Hut auf. Sie schlief. Aus jedem Monat ihres Lebens gab es zwei oder drei Fotos. Ihre ersten Zähne, die erste feste Nahrung, alles aufmerksam und liebevoll dokumentiert.
    Ich schloss das Buch und gab es Grant zurück. Das war alles, was ich wissen wollte.
    »Und das ist ihr Zimmer?«, fragte ich.
    »Wenn sie zu Besuch kommt«, erwiderte er. »Normalerweise am Samstagnachmittag. Oder nach dem Bauernmarkt am Sonntag.« Er fuhr mit der Hand über den Rand einer leeren Wiege und stellte das Buch zurück in das Regal. Als er sich zu mir legte, war sein Körper, da, wo er meinen Arm berührte, ganz heiß.
    Ich blickte mich im Zimmer um. Die Blumenbilder seiner

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