Die verborgene Stadt - Die Prophezeiung
Greis kopfschüttelnd. »Doch sollte wirklich eine außergewöhnliche Situation eingetreten sein, sind wir in der Lage, ihn zu neutralisieren.«
»Trotzdem würde ich mit diesem Mann gerne sprechen. «
»Dann finde ihn und sprich mit ihm«, versetzte der Alte. »Du musst entschuldigen, Andrej, aber in diesem Fall kannst du nicht mit meiner Hilfe rechnen. Nur zur Information: Derjenige, mit dem du zu sprechen gedenkst, ist in sechs Ländern zur Fahndung ausgeschrieben. Wobei diese Suche vollständig ins Leere läuft, da sein Name und sein Äußeres sich längst geändert haben. Er hinterlässt niemals Spuren. Und selbst, wenn du Glück haben solltest, würde der Apparat ihn abschirmen. «
»Ein sehr wertvoller Führungsspieler offenbar.«
»Einmal im Apparat – immer im Apparat«, bestätigte Heinrich Karlowitsch grinsend.
»Wie ist sein Name?«, fragte Kornilow ohne Hoffnung, darauf eine Antwort zu bekommen.
»Das kann ich dir nicht sagen. Und noch ein guter Rat, Andrej: Verzichte auf eine offizielle Anfrage beim Generalstab. Heute Morgen habe ich alle überflüssigen Details aus Lebedews Personalakte entfernt. Mehr, als ich dir erzählt habe, wirst du nicht erfahren.«
Der Greis erhob sich, blieb jedoch stehen.
»Ich habe eine Bitte an dich, Andrej.«
»Selbstverständlich.« Kornilow stand ebenfalls auf. »Was kann ich für Sie tun?«
»Ich würde gern Igors Leichnam abholen«, sagte Heinrich Karlowitsch. »Er hat es verdient, mit militärischen Ehren bestattet zu werden.«
»Morgen.« Der Major hüstelte. »Morgen können Ihre Leute ihn abholen.«
»Gut.«
Der Alte warf den Stecken weg und ging, ohne sich zu verabschieden, in Richtung Straße davon.
Allein zurückgeblieben, steckte sich Kornilow eine Zigarette an, starrte in den sich kräuselnden Rauch und schüttelte mit dem Kopf. Schon wieder ein Fehlschlag. Der Apparat hielt schützend die Hand über seine Leute. Die Spur mit der Spezialeinheit konnte er getrost vergessen. Andrej zog den Plastikbeutel mit dem Obsidianmesser aus der Tasche und betrachtete es – nicht zum ersten Mal – sehr nachdenklich.
Privates Fotostudio
Moskau, Pljuschtschicha-Straße
Dienstag, 27. Juli, 14:50 Uhr
Marina hatte keine Mühe, das Studio zu finden. Die mit schwarzem Kunstleder bezogene Eingangstür aus Metall befand sich an der Stirnseite eines alten Stalinbaus. Die Wand neben der Tür war mit einem kurzen englischen Vulgärausdruck beschmiert, und Marina fand das ein
wenig beschämend für die Bewohner der Hauptstadt. In ihrer Heimatstadt pflegte man auf Russisch zu fluchen, und die dabei verwendeten Kraftausdrücke waren nicht nur deftiger, sondern auch wesentlich geistreicher. Sie zog ihre Bluse zurecht, atmete tief durch und betätigte energisch die Klingel.
Schon nach wenigen Sekunden öffnete sich die Tür. Der Mann, der auf der Schwelle stand, musterte das Mädchen und lächelte breit.
»Marina?«
»Ja. Guten Tag.«
»Ich bin Alex. Komm rein.«
Die junge Frau war ein wenig enttäuscht. Als angenehm empfand sie nur die Stimme des Fotografen, die sie noch vom Telefongespräch in Erinnerung hatte, im Übrigen war er um einiges dicker, glatzköpfiger und kleiner, als sie ihn sich vorgestellt hatte. Außerdem trug er eine Jeans im Endstadium und ein verschwitztes Achselshirt, das seine schmächtigen weißen Schultern freiließ.
Etwas gehemmt betrat das Mädchen den finsteren Eingangsbereich.
»Vorsicht Stufe.«
»Danke.«
Eine kurze Treppe führte steil nach unten. Das Studio befand sich im Tiefparterre. In den Rohren, die entlang des Gangs verliefen, gurgelte Wasser und in einer finsteren Ecke raschelte etwas.
»Ich hätte eher erwartet, dass Sie in einer Mansarde arbeiten«, bemerkte Marina.
»Dachwohnungen sind etwas für Maler«, erläuterte Alex. »Wegen des Lichts, verstehst du? Für uns Fotografen spielt es keine Rolle, weil wir ohnehin mit Kunstlicht arbeiten.«
»Verstehe.«
Der lange, mit verstaubten Möbeln vollgestellte Gang führte direkt in das geräumige Studio, an dessen rechter, jungfräulich weißer Wand sich ein kleines Podest befand.
»Mach’s dir bequem«, sagte der Fotograf, hielt kurz inne und fügte gekünstelt erwartungsfroh hinzu: »Du trinkst doch einen Kaffee?«
»Ja, gern.«
»Ich bin gleich wieder da.« Er verschwand ins Nachbarzimmer. »Fühl dich wie zu Hause.«
Marina stellte ihren Koffer neben dem Sofa ab und sah sich um. Mehrere Fotoapparate auf Stativen und eine monströse Beleuchtungs
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