Die verborgene Stadt - Die Prophezeiung
grassierende Kriminalität in der Stadt zu diskutieren? Was hatten sie hier drinnen verloren?
Artjom trat einen Schritt zur Seite, um aus dem Blickfeld des Wachmanns zu verschwinden, und gewann alsbald Gewissheit, dass er sich nicht getäuscht hatte: In der Hand eines der »Agenten« glänzte eine Polizeimarke. Der Wachmann wurde verhört.
»Das Opfer ist aus diesem Haus gekommen, und zwar durch diese Tür«, erklärte einer der Polizisten mit Nachdruck und zeigte auf die Eingangstür, durch die Ortega vor wenigen Minuten tatsächlich das Gebäude verlassen hatte. »Sie bekommen Ärger, wenn Sie das leugnen. Sagen Sie gefälligst die Wahrheit.«
»Keine Ahnung«, jammerte der Wachmann, »ich habe jedenfalls niemanden in einem blauen Anzug hier hereinkommen, geschweige denn wieder hinausgehen sehen.«
Man hatte den Wachmann mit einem Trugbild getäuscht – das war Artjom sofort klar, als er sich an die Ereignisse der vergangenen Nacht am Lenin-Prospekt erinnerte. Doch woher wussten die Polizisten, dass Ortega hier war? Waren sie zufällig zu Zeugen des Überfalls geworden? Man konnte kaum davon ausgehen, dass die Polizei schon so kurz nach der Detonation am Tatort eingetroffen war.
»Also, Humo, du erzählst uns jetzt mal, wer hier in
den letzten zwanzig Minuten ein – und ausgegangen ist«, befahl der zweite Polizist. »Und zwar ein bisschen plötzlich, wir haben’s eilig.«
Humo?! Die lispelnde Aussprache! Das konnte kein Zufall sein. Die zwei waren Rothauben! Artjom bekam kalte Füße. Blieb nur die Hoffnung, dass Ortega auch ihn mit einem Trugbild belegt hatte, was allerdings wenig wahrscheinlich war.
»Eine Frau war hier«, berichtete der Wachmann, der die Stirn in Falten gelegt hatte und angestrengt nachdachte. »So eine dicke, tapsige Tante. Sie hat ihren Schlüssel fallen gelassen. Ihr Besuch galt Golowin aus der Abteilung 1. Er hat ihr irgendeine Tasche übergeben. Und richtig – sie hat das Gebäude ziemlich kurz vor der Explosion wieder verlassen.«
»Wo finden wir diesen Golowin?«
»Wir wollen mit diesem Humo sprechen.«
Die Rothauben hatten Lunte gerochen und nahmen den ahnungslosen Wachmann in die Zange.
Artjom wandte sich um und steuerte eiligst den Hinterausgang an. Seine Papiere, der Autoschlüssel und sein Geld – alles lag oben in seinem Büro. Doch in diesem Moment war das zweitrangig. Jetzt musste er seine Haut retten. Nachdem er den Hof überquert hatte, bog er in die Parallelstraße ein und erreichte schon bald den Boulevardring.
»Wir haben ihn verloren, Kommissar«, sagte Domingo, der zum ersten Mal während der gesamten Operation den Blick von der Kerze löste und zu Santiago schaute.
»Was heißt, wir haben ihn verloren?«
»Artjom ist weg. Ich kann ihn nicht mehr spüren.«
»Hat er das Amulett?«
»Ja.«
Santiago dachte eine Weile nach, dann wandte er sich an Tamir.
»Wird Artjom in die Eidechse kommen?«
»Mit einer Wahrscheinlichkeit von siebenundneunzig Prozent, ja.«
»Und wie groß ist das Risiko, dass er den Rothauben in die Hände fällt?«
»Weniger als sechs Prozent.«
»Gut. Dann lassen wir alles, wie es ist.«
KAPITEL ACHT
»… Schießerei in der Moskauer Innenstadt! …«
INTERFAX
»… Sensationeller Mord an einem Nawen!!! Soeben wurde gemeldet, dass Ortega, der engste Mitarbeiter des Kommissars des Dunklen Hofs, bei einer Schießerei in der Innenstadt getötet wurde …«
T-GRAD-COM
Moskauer Polizeipräsidium
Moskau, Petrowka-Straße
Dienstag, 27. Juli, 08:23 Uhr
Um halb neun Uhr morgens betrat Schustow keuchend das verrauchte Büro. Er schleppte eine Sechserpackung Heilige Quelle Mineralwasser.
»Ein Alptraum«, schimpfte er und stellte das kostbare Getränk auf seinem Schreibtisch ab. »Ein absoluter Alptraum! «
Durch den Raum waberten bizarr geformte Rauchschwaden und verdichteten sich unter der Decke zu einer
graublauen Nebelbank. Die Lüftungsanlage war schon seit Wochen kaputt, und Schustow riss demonstrativ das Fenster auf.
»Ein Alptraum!«
»Du siehst schlecht aus«, teilte Kornilow aus seinem bequemen Bürostuhl mit, nachdem er einen kurzen Blick auf den Kollegen geworfen hatte. »Hattest du eine anstrengende Nacht?«
»Das ist gar kein Ausdruck. Ich muss erst mal was trinken. «
Der Kapitän ließ seinen schweren Körper in den Stuhl sinken, riss eine Flasche aus der Sechserpackung heraus und begann hastig zu trinken.
»Hast du gefeiert gestern?«,
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