Die verborgene Wirklichkeit
Materieklumpen, und da er dichter ist als seine Umgebung, nimmt seine Gravitationsanziehung auf die umgebende Materie zu. Die Folge: Er wird noch größer. Der Kreislauf setzt sich fort, bis schließlich eine wirbelnde Masse aus Gas und Staub entstanden ist, aus der dann die Sterne und Planeten kondensieren. Wie Weinberg klar wurde, würde eine kosmologische Konstante mit einem ausreichend großen Wert den Prozess der Klumpenbildung beeinträchtigen: Wäre die dabei entstehende abstoßende Gravitation stark genug, würde sie die Bildung von Galaxien verhindern, weil die ersten Klumpen – die noch klein und vergleichsweise instabil sind – auseinanderweichen, bevor sie Zeit haben, weitere Materie an sich zu ziehen und so größer und stabiler zu werden.
Weinberg arbeitete seine Gedanken mathematisch aus und stellte fest, dass eine kosmologische Konstante, die mehr als einige hundert Mal größer ist als die derzeitige mittlere Dichte der Materie im Universum – einige Protonen je Kubikmeter – die Bildung von Galaxien verhindern würde. (Weinberg berechnete auch die Auswirkungen einer negativen kosmologischen Konstante. In diesem Fall sind die Beschränkungen noch enger, weil ihr negativer Wert die
Gravitationsanziehung verstärkt, so dass das gesamte Universum in sich zusammenfällt, bevor die Sterne auch nur beginnen können zu leuchten.) Wenn man sich nun vorstellt, dass wir Teil eines Multiversums sind und dass der Wert der kosmologischen Konstante von einem Universum zum nächsten über einen weiten Bereich variiert, ganz ähnlich wie die Abstände zwischen Stern und Planeten von Sonnensystem zu Sonnensystem es tun, können nur diejenigen Universen Galaxien enthalten und damit uns eine Heimat bieten, in denen die kosmologische Konstante nicht größer ist als die Weinberg-Grenze, die ungefähr 10 – 121 Planck-Einheiten beträgt.
Nach jahrelangen vergeblichen Bemühungen der Fachwelt führte diese theoretische Berechnung zum ersten Mal zu einem Wert für die kosmologische Konstante, der die Grenzen, die man aus den astronomischen Beobachtungen ableiten konnte, nicht absurd weit überschritt. Auch mit der zur Zeit von Weinbergs Arbeiten weit verbreiteten Überzeugung, dass die kosmologische Konstante verschwindet, war sein Ergebnis vereinbar. Weinberg ging jedoch noch einen Schritt weiter und forderte zu einer noch aggressiveren Interpretation seiner Befunde auf. Ihm zufolge sollten wir damit rechnen, dass wir uns in einem Universum mit einer kosmologischen Konstante befinden, deren Wert klein genug ist, damit wir existieren können, aber nicht sehr viel kleiner. Eine deutlich kleinere Konstante, so sein Argument, würde nach einer Erklärung verlangen, die über die reine Verträglichkeit mit unserem Dasein hinausgeht. Das heißt, sie würde genau die Erklärung erfordern, die man in der Physik so energisch gesucht und bisher nicht gefunden hatte. Weinberg vermutete daher, genauere Messungen könnten eines Tages zeigen, dass die kosmologische Konstante nicht verschwindet, sondern einen Wert an oder nahe der von ihm berechneten Obergrenze hat. Wie wir bereits erfahren haben, erwies sich diese Vermutung schon ein Jahrzehnt nach Weinbergs Veröffentlichung durch die Beobachtungen des Supernova Cosmology Project und des High-Z Supernova Search Team als prophetisch.
Um diesen unkonventionellen Erklärungsrahmen in vollem Umfang würdigen zu können, müssen wir Weinbergs Überlegungen ein wenig genauer betrachten. Weinberg stellt sich ein ausgedehntes Multiversum vor, das mit so vielgestaltigen Universumsvarianten bevölkert ist, das eines davon einfach die von uns beobachtete kosmologische Konstante aufweisen muss . Aber was für ein Multiversum bietet die Gewähr oder macht es zumindest sehr wahrscheinlich, dass dies der Fall ist?
Um uns das klarzumachen, betrachten wir zunächst einmal ein analoges Problem mit einfacheren Zahlen. Stellen wir uns vor, wir würden für den berüchtigten Filmproduzenten Harvey W. Einstein arbeiten. Er hat uns gebeten,
einen Casting-Aufruf für die Hauptrolle in seinem neuen Indie-Film Pulp Friction zu veröffentlichen. »Wie groß soll er denn sein?«, fragen wir. »Keine Ahnung. Größer als ein Meter, kleiner als zwei. Aber sorgt dafür, dass immer einer da ist, der passt, ganz gleich, für welche Größe ich mich entscheide.« Darauf sind wir versucht, den Chef zu korrigieren: Wegen der Unschärferelation braucht in Wirklichkeit nicht jede Größe repräsentiert zu
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