Die verborgene Wirklichkeit
solcher neuer, expandierender Bereich eine kritische Größe erreicht, dann, das zeigen die Berechnungen, wird seine Nabelschnur zum elterlichen Raum unterbrochen wie in dem letzten Bild von Abbildung 10.1 , und ein unabhängiges, der Inflation unterworfenes Universum ist geboren.
Eine solche künstliche Schaffung eines neuen Universums mag ein reizvoller Prozess sein, aber was Sie im Labor dann tatsächlich sehen würden, wäre enttäuschend wenig. Zwar ist es eine Erleichterung, dass die inflationäre Blase ihre Umgebung nicht auffrisst, die Kehrseite besteht jedoch darin, dass kaum etwas auf ihre Entstehung hindeutet. Ein Universum, das sich ausdehnt und dabei neuen Raum entstehen lässt, der sich von unserem löst, ist ein Universum, das wir nicht sehen können. Wenn das neue Universum sich abschnürt, wäre der einzige Überrest ein tiefes Gravitationsloch, wie man es im letzten Bild von Abbildung 10.1 erkennt, und das würde für uns wie ein Schwarzes Loch aussehen. Da wir andererseits nicht in der Lage sind, in das Innere eines Schwarzen Lochs
zu blicken, könnten wir nicht einmal sicher sein, dass unser Experiment gelungen ist; ohne Zugang zu dem neuen Universum haben wir keine Mögklichkeit zu sehen, dass das Universum überhaupt geschaffen wurde.
Abbildung 10.1 Da in der Umwelt ein größerer Druck herrscht, ist der Inflationskeim gezwungen, sich in neu gebildeten Raum hinein auszudehnen. Wenn das Blasenuniversum wächst, löst es sich von der elterlichen Umwelt und bildet eine eigene, expandierende Raumdomäne. Für einen Beobachter von außen sieht dieser Prozess aus wie die Entstehung eines Schwarzen Lochs.
Die Physik schützt uns, aber der Preis für unsere Sicherheit ist die völlige Entkopplung von den Ergebnissen unserer Bemühungen. Und das ist noch die gute Nachricht.
Die schlechte für hoffnungsvolle Universumsschöpfer liegt in einem ernüchternden Ergebnis, zu dem Guth und sein Kollege Edward Farhi vom Massachusetts Institute of Technology gelangten. Wie sie mit ihren sorgfältigen mathematischen Untersuchungen zeigen konnten, erfordert der in Abbildung 10.1 dargestellte Ablauf eine zusätzliche Zutat. Nach den Feststellungen von Guth und Farhi verhält sich das entstehende Universum in Abbildung 10.1 ganz ähnlich wie manche Luftballons, die erfordern, dass man anfangs sehr kräftig hineinbläst, während das weitere Aufblasen dann einfacher geht: Sie brauchen Anschub, bevor die inflationäre Expansion in Gang kommt. Dieser Anschub ist so stark, dass nur ein Gebilde ihn liefern kann: ein weißes Loch. Ein weißes Loch, das Gegenteil eines Schwarzen Lochs, ist ein hypothetisches Objekt, das Materie nicht in sich hineinzieht, sondern ausspuckt. Das erfordert so extreme Bedingungen, dass die bekannten mathematischen Verfahren versagen (ganz ähnlich wie im Zentrum eines Schwarzen Lochs); hier möge die Bemerkung genügen, dass niemand damit rechnet, weiße Löcher jemals im Labor erzeugen zu können. Damit waren Guth und Farhi mit ihren Arbeiten zur Schaffung von Universen auf ein grundsätzliches Hindernis gestoßen.
Seither haben mehrere Arbeitsgruppen Wege vorgeschlagen, auf denen man das Problem möglicherweise umgehen kann. Nach Feststellungen von Guth,
Farhi und Jemal Guven kann man den Inflationskeim durch einen Quanten-Tunnelprozess erzeugen (ganz ähnlich denen, die wir im Zusammenhang mit dem Landschafts-Multiversum erörtert haben) und damit das weiße Loch mit seiner Singularität vermeiden; die Wahrscheinlichkeit, dass ein entsprechender Quanten-Tunnelprozess abläuft, ist allerdings so ungeheuer gering, dass dafür in einem Zeitrahmen, den irgendjemand der Betrachtung für wert hält, praktisch keinerlei Chance besteht. Die japanischen Physiker Nobuyuki Sakai, Ken-ichi Nakao, Hideki Ishihara und Makoto Kobayashi konnten zeigen, dass auch ein magnetischer Monopol – ein hypothetisches Teilchen, das nur den Nord- oder den Südpol eines normalen Stabmagneten enthält – die inflationäre Ausdehnung vorantreiben könnte, wobei Singularitäten ebenfalls vermieden werden; allerdings hat nach annähernd vierzigjähriger, eingehender Suche noch niemand auch nur ein einziges solches Teilchen gefunden. ag
Heute kann man unter dem Strich also feststellen: Die Tür zur Schaffung neuer Universen steht noch offen, aber nur einen Spalt breit. Wenn man bedenkt, dass die Vorschläge in großem Umfang auf hypothetische Elemente zurückgreifen, könnte sie sich durch zukünftige Entwicklungen
Weitere Kostenlose Bücher