Die verborgene Wirklichkeit
nicht
simulieren, Punkt. Oder vielleicht – auch diese Vermutung äußert Bostrom – werden Zivilisationen, die auf dem Weg zur technischen Beherrschung simulierter bewusster Wesen sind, sich mit ihrer Technologie zwangsläufig selbst zerstören. Oder vielleicht entschließen sich unsere entfernten Nachkommen, die zur Schaffung simulierter Universen in der Lage sind, diesen Schritt nicht zu vollziehen – entweder aus moralischen Gründen oder einfach weil andere heute noch unvorstellbare Projekte sich als so viel interessanter erweisen, dass die Simulation von Universen ganz ähnlich wie die zuvor erwähnte Erschaffung neuer Universen einfach links liegen bleibt.
Das sind einige der vielen Schlupflöcher, aber wer weiß, ob sie so groß sind wie das sprichwörtliche Scheunentor? ai Wenn nicht, sollten Sie Ihr Leben vielleicht besser ein wenig aufregender gestalten und sich beizeiten einen Namen machen. Wer auch immer die Simulation ablaufen lässt, könnte der Mauerblümchen irgendwann überdrüssig sein. Sich als interessante Persönlichkeit zu profilieren, wäre unter solchen Umständen ein plausibler Weg zu einem langen Leben. 5
Der Blick über die Simulation hinaus
Angenommen, wir leben in einer Simulation. Könnten wir das herausfinden? Die Antwort hängt zu einem beträchtlichen Teil davon ab, wer die Simulation ablaufen lässt – bezeichnen wir ihn oder sie einmal als Simulator – und wie die Simulation programmiert wurde. Der Simulator könnte sich beispielsweise entschließen, uns in das Geheimnis einzuweihen. Eines Tages beim Duschen hören wir vielleicht ein leises »Klingeling«, und wenn wir uns das Shampoo aus den Augen gewischt haben, sehen wir ein schwebendes Fenster, in dem unser lächelnder Simulator erscheint und sich vorstellt. Vielleicht ereignet sich diese Offenbarung auch in weltweitem Maßstab: Riesige Fenster und eine Donnerstimme wandern um den Planeten und geben bekannt, dass es in Wirklichkeit
im Himmel den allmächtigen Programmierer gibt. Aber selbst wenn der Simulator vor solchem Exhibitionismus zurückscheut, könnten sich weniger offenkundige Anhaltspunkte ergeben.
Eine Simulation, die bewusste Wesen zulässt, hätte sicher ein gewisses Mindestmaß an Originaltreue erreicht, aber wie bei Designerkleidung und billigen Nachahmerprodukten könnten Qualität und Passgenauigkeit durchaus schwanken. In einem Ansatz zur Programmierung der Simulation – nennen wir ihn die »emergente Strategie« – würde man wahrscheinlich auf die Gesamtmenge des gesammelten Wissens der Menschheit zurückgreifen und gezielt einschlägige Modelle heranziehen, so, wie es der Zusammenhang erfordert. Kollisionen zwischen Protonen im Teilchenbeschleuniger würde man mit Hilfe der Quantenfeldtheorie simulieren. Die Flugbahn eines geworfenen Balls würde man dagegen nach Newtons Gesetzen berechnen. Die Reaktion einer Mutter, die ihrem Kind bei den ersten Schritten zusieht, würde man durch eine Verschmelzung von Erkenntnissen aus Biochemie, Physiologie und Psychologie simulieren. Die Maßnahmen von Regierungschefs hätten ihren Ursprung in Politikwissenschaft, Geschichte und Wirtschaft. Die emergente Strategie wäre ein Flickenteppich aus Ansätzen, die sich auf verschiedene Aspekte der simulierten Wirklichkeit konzentrieren, wobei darauf geachtet werden müsste, dass die Bestandteile dieses Flickenteppichs gut zusammenpassen – dann nämlich, wenn Prozesse, die als in einem Bereich liegend wahrgenommen werden, auf einen anderen überschwappen. Ein Psychiater muss die Prozesse der Gehirnfunktion auf der Ebene von Zellen, Chemie, Molekülen, Atomen und subatomaren Prozessen nicht vollständig verstehen – was für die Psychiatrie gut ist. Wenn man aber einen Menschen simulieren will, besteht die schwierige Aufgabe für die emergente Strategie darin, widerspruchsfrei gröbere und feinere Informationsebenen zu verbinden und beispielsweise dafür zu sorgen, dass emotionale und kognitive Funktionen sinnvoll mit physiologisch-chemischen Befunden einhergehen. Eine solche grenzüberschreitende Verflechtung findet bei allen Phänomenen statt und war für die Wissenschaft immer ein Antrieb, nach tieferreichenden, einheitlicheren Erklärungen zu suchen.
Ein Simulator, der sich emergenter Strategien bedient, müsste alle Unstimmigkeiten ausbügeln, die sich durch die unterschiedlichen Methoden ergeben, und er müsste dafür sorgen, dass die Übergänge bruchlos erfolgen. Dies würde Bastelei und
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