Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die verborgene Wirklichkeit

Die verborgene Wirklichkeit

Titel: Die verborgene Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Greene
Vom Netzwerk:
auf eine grundsätzlich andere Idee. Wenn die für sich kontinuierlich ändernde Größen formulierten Gesetze, die von den Physikern über Jahrtausende hinweg entwickelt wurden, in Wirklichkeit der Input für einen leistungsfähigen Digitalcomputer sind und zur Erzeugung eines simulierten Universums dienen, könnten die durch die unvermeidlichen Näherungslösungen entstehenden Fehler sich angehäuft und genau zu den beobachteten Anomalien geführt haben. »Wollen Sie damit sagen, dass wir in einer Computersimulation leben?«, würden wir fragen. »Ja«, würde der Kollege antworten. »Na ja, aber das ist doch verrückt«, sagen wir darauf. »Wirklich?«, antwortet er. »Sehen Sie mal.« Dann würde er auf einem Monitor eine simulierte Welt zeigen, die er mithilfe der gleichen grundlegenden physikalischen Gesetze programmiert hat, und nachdem wir auf den Schock hin, überhaupt einer simulierten Welt zu begegnen, wieder zu Atem gekommen sind, würden wir sehen, dass die simulierten
Wissenschaftler sich tatsächlich Gedanken über die gleichen seltsamen Daten machen, die auch uns Sorgen bereiten. 6
    Ein Simulator, der sich gewissenhafter verstecken will, könnte sich natürlich einer aggressiveren Taktik bedienen. Wenn die Widersprüchlichkeiten sich addieren, startet er vielleicht das Programm neu und löscht die Erinnerungen der Bewohner an die Anomalien. Dann würde die Behauptung, eine simulierte Wirklichkeit werde ihr wahres Wesen durch Pannen und Unregelmäßigkeiten offenbaren, fragwürdig. Und ich hätte sicher Schwierigkeiten, Argumente dafür zu finden, dass Widersprüchlichkeiten, Anomalien, unbeantwortete Fragen und Fortschrittshindernisse etwas anderes widerspiegeln als unser eigenes wissenschaftliches Versagen. Sinnvollerweise würde man solche Indizien so interpretieren, dass wir Wissenschaftler uns mehr Mühe geben und auf unserer Suche nach Erklärungen kreativer sein müssen. Aus dem fantasievollen Szenario, das ich gerade entworfen habe, ergibt sich dennoch eine ernsthafte Schlussfolgerung. Wenn wir tatsächlich eines Tages simulierte Welten mit offenkundig bewussten Bewohnern erschaffen, wird sich eine entscheidende Frage erheben: Ist es eine vernünftige Annahme, dass wir in der Geschichte der wissenschaftlich-technischen Entwicklung eine Ausnahmestellung einnehmen – dass wir zu den ersten Schöpfern einer Simulation bewusster Wesen geworden sind? Das könnte der Fall sein. Aber wenn wir darauf bedacht sind, uns an Wahrscheinlichkeiten zu halten, müssen wir auch andere Erklärungen in Erwägung ziehen, nach denen wir im großen System der Dinge nichts Besonderes sind. Und es gibt eine einfache Erklärung, die ins Bild passt. Wenn unsere eigenen Arbeiten uns davon überzeugen, dass sich bewusste Wesen simulieren lassen, legt das in Kapitel 7 erörterte Prinzip der Mittelmäßigkeit – nach dem wir Menschen lediglich Feld-Wald-und-Wiesen-Bewohner eines Multiversums sind – die Vermutung nahe, dass es da draußen nicht nur eine Simulation gibt, sondern einen wogenden Ozean aus Simulationen, die ein simuliertes Multiversum bilden. Die von uns geschaffene Simulation mag in dem begrenzten Bereich, zu dem wir Zugang haben, eine bahnbrechende Leistung sein – im Zusammenhang des gesamten simulierten Multiversums ist sie jedoch nur eine unter unzähligen. Wenn wir das akzeptieren, liegt der Gedanke nahe, dass vielleicht auch wir in einer Simulation leben, denn das gilt im simulierten Multiversum für die große Mehrheit aller bewussten Wesen.
    Belege für künstliches Bewusstsein und simulierte Welten sind Grund genug, über das Wesen unserer eigenen Wirklichkeit neu nachzudenken.

    Die Bibliothek von Babel
    In meinem ersten Semester am College schrieb ich mich für einen Philosophie-Einführungskurs ein, der von dem mittlerweile verstorbenen Robert Nozick geleitet wurde. Es wurde von der ersten Vorlesung an ein Parforceritt. Nozick stand gerade im Begriff, sein umfangreiches Werk Philosophical Explanations zu vollenden; die Vorlesungsreihe diente ihm als Generalprobe für viele zentrale Argumente seines Buches. Fast jede Vorlesungsstunde erschütterte mein Weltverständnis, und das manchmal sehr heftig. Es war ein unerwartetes Erlebnis – ich hatte bis dahin geglaubt, nur meine Physikvorlesungen würden die Wirklichkeit umkrempeln. Allerdings bestand zwischen beiden Fachrichtungen ein wichtiger Unterschied. Die Physikvorlesungen stellten lieb gewordene Sichtweisen infrage, weil sie seltsame

Weitere Kostenlose Bücher